Die Schweiz hat viel zu wenig Mietwohnungen – so viel ist klar. Denn die Bevölkerung wächst schneller, als neue Wohnungen gebaut werden können. In Zeiten der Wohnungsnot ist die Bautätigkeit von grosser Bedeutung. Nur so können neue, dringend benötigte Wohnungen entstehen.
Das Problem: Der Wohnungsbau stockt. Dass zu wenig neuer Wohnraum geschaffen wird, zeigen folgende Zahlen der neuesten Immobilienstudie von Raiffeisen: Zwischen 2004 und 2017 wurden pro 1000 Bewohner im Schnitt jährlich 7,3 Wohnungen geplant. Zwischen 2020 und 2024 waren es noch 5,5 Wohnungen.
Und eigentlich ist die Lage noch prekärer. Denn in diesen Zahlen, die sich auf eingereichte Baugesuche beziehen, ist nicht berücksichtigt, dass für die Erstellung von neuem Wohnraum immer häufiger auch Wohnungen abgerissen werden müssen. In Schweizer Städten gehen laut Raiffeisen pro 100 neu erstellten Wohnungen 31 bestehende verloren.
Was bringen Ersatzneubauten?
Gerade in Städten sind Ersatzneubauten aber unumgänglich, um zu verdichten. Doch wie viele neue Wohnungen entstehen wirklich, wenn ein Wohnhaus erneuert wird? Dieser Fragen sind die Studienverfasser von Raiffeisen nachgegangen.
Die Antwort fällt je nach Region ernüchternd aus. In ländlichen und touristischen Gebieten führt ein Ersatzneubau im Schnitt zu einem Nettogewinn von zwei Wohnungen. Dieser Wert bleibt laut Raiffeisen seit Jahre stabil. In urbanen Gemeinden und in den Zentren hat sich die Effizienz der Ersatzneubauten dagegen spürbar erhöht. Zuletzt lag der Nettozugang an Wohneinheiten pro Ersatzneubau im Schnitt bei sechs bis sieben Wohnungen.
Die ohnehin schon grossen Widerstände gegen die Verdichtungsbestrebungen dürften laut Raiffeisen künftig weiter zunehmen.
Es gibt keine Alternative
«Die fünf grössten Städte spielen hierbei in einer völlig anderen Liga», sagt Fredy Hasenmaile (58), Chefökonom von Raiffeisen Schweiz fest. In Zürich, Genf, Basel, Lausanne und Bern entstehen pro Ersatzneubau im Schnitt zehn bis 20 Wohnungen mehr. Im Jahr 2023 wurden beispielsweise für die 30 Wohnungen, welche im Schnitt gebaut wurden, 12 Wohnungen abgerissen. Grund dafür sind der grosse Verdichtungsdruck und die besseren Chancen auf hohe Bauwerke. «Ersatzneubauten sind Fluch und Segen», sagt Hasenmaile. Trotz Kritik sei er aber oft alternativlos, um den Wohnraummangel zu bekämpfen.
Sanftere Verdichtungsformen, wie Umbauten und Aufstockungen, würden nicht ausreichen, um die Ausnützung der knappen Baulandflächen zu maximieren, so der Experte. «Damit der Ersatzneubau gesellschaftlich akzeptiert bleibt, muss auch vermehrt auf dessen soziale und ökologische Verträglichkeit geachtet werden», so Hasenmaile.
Die Kehrseite der Medaille
Er spricht damit die Kehrseiten dieser Form des Wohnungsbaus an. Besonders in den grossen Städten vernichten solche Projekte eine bedeutende Zahl an Wohnungen, welche erst verzögert durch neue ersetzt werden.
Die alten Wohnungen, die dem Ersatzneubau zum Opfer fallen, sind meist günstig. An deren Stelle treten modernere Wohnungen mit einem höheren Qualitätsstandard. Allein schon aufgrund der mietrechtlich bedingten Schere zwischen den Bestandes- und den Angebotsmieten sind diese Wohnungen im Vergleich zum Altbestand teurer. Dadurch werden sie für viele unerschwinglich.
Die alten Wohnungen, die dem Ersatzneubau zum Opfer fallen, sind meist günstig.
«Das führt zu sozialen Problemen», so Hasenmaile. Die Leidtragenden sind Geringverdiener. Sie verlieren bezahlbaren Wohnraum. Die ohnehin schon grossen Widerstände gegen die Verdichtungsbestrebungen dürften laut Raiffeisen künftig weiter zunehmen. Doch «der Fünfer und das Weggli» seien in der Wohnraumversorgung schlicht und einfach nicht zu haben. Der Ersatzneubau werde in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Denn er ermöglicht die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum in den bestehenden Siedlungsflächen – dort, wo alle wohnen wollen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Blick unter dem Titel «Warum der Wohnungsbau nicht dagegenhalten kann».