Am HZ Insurance Forum '25 vom 12. Juni werden relevante Themen wie die Rahmenbedingungen durch Aufsicht und Regulierung, die ökonomische Einschätzung der exponentiellen Gefahrenentwicklung sowie die Grenzen der Versicherbarkeit von Risiken und deren Nachhaltigkeit kritisch beleuchtet.
Im Vorfeld der Veranstaltung beziehen Referentinnen und Referenten im Interview Stellung zu entscheidenden Themen ihrer Arbeit.
Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage «Sach- und Haftversicherungen in der Schweiz» befragte das Beratungsunternehmen Deloitte Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten, wie sie ihren Versicherer beurteilen und welche Erwartungen sie an ihn haben (HZ Insurance berichtete). Studienautor Marcel Thom über überraschende Erkenntnisse - und einen durch die geplante Fusion von Helvetia und Baloise veränderten Schweizer Versicherungsmarkt.
Herr Thom, Sie haben den Markt für Sach- und Haftversicherungen in der Schweiz untersucht. Was waren für Sie persönlich die überraschendsten Erkenntnisse?
Mich hat besonders überrascht, wie stark Versicherungsentscheide hierzulande im sozialen Umfeld verankert sind. Etwa zwei Drittel der jüngeren Kunden verlassen sich bei der Versicherungswahl auf Empfehlungen von Freunden oder Verwandten – das hätte man im Zeitalter digitaler Vergleichsportale so nicht erwartet. Ebenso bemerkenswert ist die Passivität vieler Versicherungsnehmer: Über 75 Prozent der Befragten überprüfen ihre Policen und Angebote nicht regelmässig. Dieses trügerische Sicherheitsgefühl war unerwartet hoch.
Und schliesslich fand ich interessant, dass zwar über 80 Prozent der Kundinnen und Kunden mit ihrem Versicherer zufrieden sind, jedoch echte Unterschiede zwischen den Anbietern kaum wahrgenommen werden. Mit anderen Worten: Alle machen ihren Job ordentlich, aber Differenzierung bleibt die grosse Herausforderung im Wettbewerb.
Marcel Thom ist Leiter der Versicherungspraxis von Deloitte Schweiz.
Was bedeutet das für die Versicherer, dass vor allem junge Menschen so stark auf Empfehlungen setzen?
Das zeigt deutlich, dass Vertrauen und persönliche Beziehungen nach wie vor enorm wichtig sind. Gerade die jüngere Kundschaft orientiert sich stark an ihrem sozialen Umfeld, und das muss den Versicherern zu denken geben. Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Kunden zu Botschaftern werden – durch exzellenten Service und relevante Angebote, sodass diese sie aktiv weiterempfehlen.
Trotz aller Online-Vergleichsportale zählt am Ende oft die Weiterempfehlung von Mensch zu Mensch. Für die Versicherer bedeutet das auch, ihre Ansprache und Beratung auf mehrere Entscheidungsträger auszurichten. Man verkauft nicht mehr nur an ein Individuum, sondern indirekt an deren Familie und Freundinnen oder Freunde mit. Empfehlungsprogramme, Social-Media-Präsenz und vor allem ein tadelloser Ruf werden somit zu entscheidenden Erfolgsfaktoren.
"Gerade in einer saturierten Branche muss man sich selbst neu erfinden, bevor es andere tun."
Marcel Thom
Wenn Kunden ihre Police nicht überprüfen - tappen Versicherer da nicht in eine Komfortfalle, gerade was Innovationen anbelangt?
Ja, da besteht für Versicherer tatsächlich die Gefahr, bequem zu werden. Nur weil Kunden nicht aktiv wechseln, heisst das nicht, dass sie keine Erwartungen an Neuerungen haben – sie kennen vielleicht einfach noch keine besseren Angebote. Ein Versicherer, der sich auf dieser Passivität ausruht, riskiert den Anschluss zu verpassen.
Innovation sollte proaktiv vorangetrieben werden. Gerade in einer saturierten Branche muss man sich selbst neu erfinden, bevor es andere tun. Wenn ein Wettbewerber oder ein neuer Player eine wirklich überzeugende Lösung bietet, könnten selbst träge Kunden plötzlich wechseln. Daher sollten Schweizer Versicherer die aktuelle Loyalität als Chance sehen, in Ruhe zu investieren und zu innovieren – nicht als Ausrede, nichts zu tun. Die Kunst liegt darin, das Bestehende ständig zu verbessern, bevor der Kunde es einfordert.
Daten und KI werden für die Assekuranz immer wichtiger. Wie ist die Branche diesbezüglich aufgestellt – und was haben die Kunden davon?
Daten und Künstliche Intelligenz sind zweifellos zwei der grössten Hebel in der aktuellen Transformation der Versicherungsbranche. Viele Schweizer Versicherer haben die Bedeutung erkannt und investieren kräftig – aber das Gefälle ist noch gross. Einige Vorreiter setzen KI bereits erfolgreich in Bereichen wie Schadenabwicklung oder Underwriting ein, während andere noch am Anfang stehen. Insgesamt verfügt die Branche über unglaublich viele Daten; die Herausforderung besteht darin, diese wirklich wertstiftend zu nutzen.
Und die Kundschaft profitiert eine ganze Menge, wenn es richtig gemacht wird. Sie erwarten von KI vor allem einen konkreten Mehrwert im Service: schnellere Schadensabwicklung, rund um die Uhr verfügbare Beratung und akkuratere Risikobeurteilung. Wenn zum Beispiel ein Schadenfall dank KI-gestützter Prozesse innerhalb von Minuten abgewickelt wird, steigert das die Kundenzufriedenheit enorm. Auch personalisierte Angebote werden möglich: Durch intelligente Datenanalysen kann man Produkte viel individueller zuschneiden.
"Ich gehe davon aus, dass wir weiterhin Preisanpassungen sehen werden, aber wahrscheinlich weniger abrupt als zuletzt."
Marcel Thom
Im Nichtlebengeschäft wurde aufgrund der Schadeninflation relativ stark an der Preisschraube gedreht. Wird diese Entwicklung anhalten?
Gerade in der Motorfahrzeugversicherung, aber auch in anderen Sparten, mussten viele Versicherer aufgrund gestiegener Schadenkosten die Preise anheben. Das war notwendig, um die sogenannte Schadeninflation – teurere Reparaturen, höhere Material- und Ersatzteilkosten, teils auch häufigere Unwetter – aufzufangen.
Ich gehe davon aus, dass wir weiterhin Preisanpassungen sehen werden, aber wahrscheinlich weniger abrupt als zuletzt. Die allgemeine Teuerung hat sich in der Schweiz zuletzt wieder etwas beruhigt, was den Druck mindert. Doch es gibt fortlaufend Kostentreiber: Ersatzteile, Löhne im Handwerk, medizinische Leistungen bei Haftpflichtfällen – all das steigt tendenziell weiter.
Auch klimabedingte Grossereignisse können künftig vermehrt durchschlagen. Insofern werden die Versicherer ihre Prämien wohl auch in den kommenden Jahren dort anziehen, wo es nötig ist. Allerdings rechne ich nicht mit einem dauerhaften starken Anziehen der Preisschraube Jahr für Jahr. Vielmehr dürfte sich der Markt nach diesem kräftigen Nachholeffekt wieder etwas einpendeln.
Der Nichtlebenmarkt gilt als gesättigt, die Produkte sind oftmals austauschbar. Wie können Versicherer überhaupt den Unterschied machen?
Sie sprechen ein Kernproblem an. Der Markt ist tatsächlich weitgehend gesättigt – praktisch jeder Haushalt besitzt die gängigen Sach- und Haftpflichtdeckungen, das organische Wachstum ist begrenzt. Und die Produkte ähneln sich stark. Viele Kunden nehmen kaum wahr, worin ein Anbieter wirklich besser ist als der andere, solange die Grundleistungen stimmen.
Wie also den Unterschied machen? Meines Erachtens über herausragenden Kundenmehrwert. Das kann verschiedene Facetten haben. Erstens, personalisierte Lösungen: Wer es schafft, Angebote stärker auf den einzelnen Kunden zuzuschneiden – zum Beispiel modulare Policen oder Bündel mit attraktiven Rabatten – kann sich abheben. Zweitens, exzellenter Service, besonders im Schadenfall: Die Geschwindigkeit und Qualität der Schadenabwicklung sind Schlüsselfaktoren für die Zufriedenheit.
Drittens, Vertrauen und Reputation: Am Ende sind Service, Produkt, Preis und Ruf nach wie vor die vier entscheidenden Auswahlkriterien für Kunden. Viertens, gezielte Innovation: Viele experimentieren mit Zusatzdiensten ausserhalb des Kerngeschäfts, doch die Mehrheit der Kunden erwartet solche Beyond-Insurance-Angebote gar nicht aktiv. Deshalb sollte man Innovation vor allem dort einsetzen, wo sie einen echten Mehrwert bringt – sei es eine nützliche App, präventive Beratung oder ein neuartiges Deckungskonzept für emergente Risiken.
Durch die geplante Elefantenhochzeit von Helvetia und Baloise entsteht ein neuer Versicherungsriese. Welche Bedeutung hat das für den Schweizer Markt?
Das ist in der Tat ein Paukenschlag für den Schweizer Versicherungsmarkt. Durch die Fusion entsteht hierzulande der zweitgrösste Versicherer mit rund einem Fünftel Marktanteil – eine Grösse, die es so bisher nicht gab. Künftig tritt ein neuer Gigant auf. Das hat mehrere Implikationen. Zum einen erhöht es den Konkurrenzdruck auf die übrigen grossen Anbieter. Ein zusammengeschlossenes Helvetia-Baloise wird über mehr Ressourcen und Skaleneffekte verfügen – die Rede war ja von jährlichen Synergien von ca. 350 Millionen Franken.
Dieses neue Schwergewicht kann effizienter agieren und hat vermutlich mehr Spielraum, um in Digitalisierung und Innovation zu investieren. Die Wettbewerber werden sich noch stärker anstrengen müssen, um mitzuhalten. Zum anderen zeigt diese Elefantenhochzeit, dass in einem reifen Markt wie der Schweiz Wachstum vor allem über Konsolidierung kommt.
Für die Kunden dürfte sich kurzfristig wenig ändern – der Wettbewerb bleibt intakt, da es weiterhin mehrere grosse Player gibt. Langfristig allerdings könnte diese Konzentration dazu führen, dass wir einen noch schlagkräftigeren Anbieter sehen, der vielleicht auch international stärker auftreten kann. Interessant ist nämlich die Perspektive über die Landesgrenzen hinaus: Die beiden fusionswilligen Unternehmen haben angekündigt, gemeinsam eine wichtigere Rolle in Europa spielen zu wollen. Insgesamt ist das also ein deutliches Signal, dass sich der Markt neu sortiert und die Schweizer Versicherer sich für die Zukunft anders aufstellen.
"Die Branche ist in Bewegung geraten, und die Möglichkeit weiterer Zusammenschlüsse ist definitiv gestiegen."
Marcel Thom
Vorher gab es relativ wenig Bewegung in der Schweiz. Sehen wir in naher Zukunft weitere Übernahmen oder Zusammenschlüsse?
Nach Jahren der Ruhe stellt sich diese Frage nun natürlich. Ich bin der Ansicht: Wir werden sicherlich vermehrt strategische Überlegungen in diese Richtung sehen, aber nicht gleich eine ganze Welle von Elefantenhochzeiten. Die Helvetia-Baloise-Fusion ist auch deshalb besonders, weil hier zwei sehr gut passende Schweizer Unternehmen zusammengefunden haben – so eine Konstellation gibt es nicht oft.
Allerdings stimmt es, dass der Druck zu mehr Grösse und Effizienz steigt. Um Herausforderungen wie Digitalisierung, Kostendruck und regulatorische Auflagen zu meistern, könnten durchaus weitere Transaktionen folgen. Das kann klassische M&A-Deals bedeuten oder auch neue Partnerschaften, Ökosystem-Allianzen und Zukäufe von Insurtechs oder Spezialanbietern. International beobachten wir bereits, dass Versicherer verstärkt Kooperationen oder Übernahmen nutzen, um schneller an neue Fähigkeiten und Technologien zu kommen.
Für die Schweiz heisst das konkret: Kleinere und mittlere Anbieter werden sich überlegen, ob sie langfristig alleine wettbewerbsfähig bleiben oder ob Zusammenschlüsse Sinn ergeben. Auch ausländische Versicherungsgruppen könnten versuchen, durch Zukäufe ihren Fussabdruck in der Schweiz zu vergrössern. Gleichzeitig muss man realistisch bleiben: Unser Markt ist schon heute von wenigen grossen Playern geprägt – viele davon gehören zu internationalen Konzernen oder sind als Genossenschaften speziell aufgestellt.
Eine weitere Megafusion halte ich kurzfristig für eher unwahrscheinlich. Eher sehen wir punktuelle Übernahmen in bestimmten Segmenten oder Regionen. Aber eines ist klar: Die Branche ist in Bewegung geraten, und die Möglichkeit weiterer Zusammenschlüsse ist definitiv gestiegen.
Für Sie als Berater ist ein gutes Netzwerk innerhalb der Schweizer Assekuranz unabdingbar. Welchen Stellenwert hat das HZ Insurance Forum für Sie?
Ein gutes Netzwerk ist in unserer Branche tatsächlich Gold wert – man kennt sich, vertraut sich und kann offen voneinander lernen. Das HZ Insurance Forum ist für mich ein zentrales Ereignis, um dieses Netzwerk zu pflegen und auszubauen. Hier kommen die Entscheidungsträger der Schweizer Assekuranz zusammen, und zwar in einem Rahmen, der den offenen Austausch auf Augenhöhe fördert.
Für mich als Beratungspartner ist es enorm wertvoll, in diesem Forum direkt mit CEOs, Geschäftsleitungsmitgliedern und Fachexperten ins Gespräch zu kommen, Trends zu diskutieren und Einblicke in die aktuellen Anliegen der Versicherer zu erhalten. Ich schätze solche Gelegenheiten sehr. Man könnte sagen, das HZ Insurance Forum ist wie ein jährliches Familientreffen der Branche: Man knüpft neue Kontakte und vertieft bestehende – und legt damit die Basis für Zusammenarbeit und Vertrauen im Tagesgeschäft.