Auf eine medizinisch notwendige Hüftoperation mehrere Monate warten zu müssen, ist für Patientinnen und Patienten im Schweizer Gesundheitssystem kaum vorstellbar. Hierzulande erhält dank der obligatorischen Krankenpflegeversicherung grundsätzlich jede Person sofort die medizinische Versorgung, die sie benötigt. Ganz anders etwa in Grossbritannien: Das dortige Gesundheitssystem ist zwar qualitativ hochstehend, jedoch müssen Patientinnen und Patienten oftmals längere Zeit auf nicht überlebenswichtige Operationen warten. Grund hierfür ist das National Health System (NHS), das strenge Budgetvorgaben für medizinische Leistungen macht. Zum einen dürfen die Ausgaben für medizinische Leistungen in einzelnen Regionen staatlich festgelegte Budgets nicht übersteigen. Zum anderen dürfen medizinische Leistungen pro qualitätskorrigiertes Lebensjahr (QALY) nicht teurer sein als ein vordefinierter Betrag. In der Schweiz ist der Zugang zu medizinischen Leistungen deutlich niederschwelliger. Ärztliche Leistungen werden grundsätzlich von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet – vorausgesetzt sie sind wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich. Allgemeine Kostenobergrenzen gibt es für medizinische Leistungen nicht. Unklar ist allerdings, ob das in Zukunft so bleiben wird.

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Autor: Dr. iur. Dario Picecchi ist Jurist und Lehrbeauftragter im öffentlichen Recht. In seiner bei DIKE publizierten Dissertation befasste er sich mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Krankenversicherungsrecht. Bei seiner juristischen Tätigkeit setzt er sich weiterhin mit gesundheitsrechtlichen Fragestellungen auseinander. Er berät und vertritt dabei insbesondere Krankenversicherer und Leistungserbringer.

 

In der Frühlingssession hat sich der Nationalrat dazu entschieden, mit einer neuen Bestimmung im Krankenversicherungsgesetz (Artikel 47c) Kostengrenzen bzw. ein Kostenmonitoring im Gesundheitswesen einzuführen. Die Regelung des neuen Gesetzesartikels lässt sich wie folgt kurz zusammenfassen: Ärztinnen, Spitäler und weitere Leistungserbringer vereinbaren mit den Krankenversicherern jeweils jährliche «Kostenziele». Diese Kostenziele basieren auf den Kosten der medizinischen Leistungen des Vorjahres, tragen aber auch künftigen Entwicklungen Rechnung, beispielsweise einem Bevölkerungsanstieg. Überschreiten die Leistungserbringer das vereinbarte jährliche Kostenziel, führt dies für sie zu finanziellen Einbussen: Im kommenden Jahr wird entweder ein degressiver Tarif eingeführt oder sie müssen gar Vergütungen an die Versicherer zurückbezahlen.

Bereits im letzten Jahr hatte sich das Parlament mit dem Artikel 47c befasst, sich letztlich jedoch gegen die Einführung von Kostenzielen entschieden. Dass das Parlament erneut über dieselbe Bestimmung zu beraten hatte, ist einem Rückkommensantrag der Mitte-Politikerin Ruth Humbel geschuldet. Nachdem der Nationalrat dem Artikel 47c nun doch zugestimmt hat, ist abzuwarten, ob der Ständerat ebenfalls seine Meinung ändert oder Kostenziele weiterhin ablehnt. Trotz berechtigter Einwände gegen Kostengrenzen – bzw. etwas freundlicher bezeichnete Kostenziele – hält sich diese Idee in den politischen Diskussionen hartnäckig. Ausstehend sind beispielsweise die parlamentarische Beratung und Abstimmung über die Kostenbremse-Initiative der Mitte. Ziel dieser Initiative ist ebenfalls die Einführung von Kostengrenzen im Krankenversicherungssystem.

Mit der Einführung der diskutierten «Kostenziele» wären im Schweizer Gesundheitswesen noch lange keine britischen Verhältnisse zu erwarten. Dennoch wären allgemeine Kostengrenzen in unserem Krankenversicherungssystem ein Paradigmenwechsel. Die grösste Gefahr solcher Kostengrenzen liegt in einer Rationierung medizinischer Leistungen. Der Zugang zu nutzenbringenden Behandlungen würde nicht mehr allein vom medizinischen Bedarf abhängen, sondern vom verfügbaren Budget. Das Argument drohender Rationierungen führen auch die Gegner von Kostenzielen immer wieder ins Feld, so auch in den Parlamentsdebatten zu Artikel 47c. Diese Bedenken gilt es ernst zu nehmen. Gibt es verbindliche Kostengrenzen, so ist davon auszugehen, dass Leistungserbringer ihre medizinischen Behandlungen auch nach diesen Grenzen ausrichten. Ob dabei tatsächlich nur auf unnötige Leistungen verzichtet wird, lässt sich nicht vorhersagen. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass auch medizinisch erforderliche Behandlungen zumindest hinausgeschoben werden. Letztlich würde damit der heutige Zugang zum Leistungskatalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung eingeschränkt.

Entscheidet sich der Gesetzgeber tatsächlich für Kostengrenzen, wäre es nur konsequent, wenn er auch drohende Rationierungen regelt und diesen entgegenwirkt. So müsste bei Kostengrenzen etwa ein Vorbehalt zugunsten nutzenbringender Leistungen vorgesehen werden. Ebenso bräuchte es Kontrollmechanismen, um Rationierungen zu verhindern bzw. korrigierend einzugreifen. Ob Kostengrenzen dann noch die gewünschte Wirkung erzielen, bliebe fraglich. Allerdings sind die Auswirkungen von Kostengrenzen auf die Gesundheitsversorgung und die weitere Kostenentwicklung im Gesundheitssystem ohnehin kaum voraussehbar. Es ist zumindest mit einem beträchtlichen bürokratischen Aufwand zu rechnen. Neben einer möglichen Rationierung der medizinischen Leistungen gibt es somit weitere gewichtige Gründe, die dafür sprechen, dass die Einführung von Kostengrenzen sorgfältig bedacht werden muss.

Statt den Zugang zu nutzenbringender Medizin von «Kostenzielen» abhängig zu machen, sollten mildere Massnahmen ergriffen werden. Konkret muss die Leistungserbringung in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung weiter rationalisiert – und nicht rationiert – werden. Steigert man die Effizienz der Leistungserbringung, kommt es anders als bei Rationierungen zu keinen Einbussen beim medizinischen Nutzen. Ziel muss es dabei sein, sich nicht zu stark von den Kosten der Leistungserbringung leiten zu lassen, sondern auch deren Nutzen im Auge zu behalten. Es ist mit anderen Worten das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Leistungen zu verbessern, statt lediglich die Kosten der Leistungen zu steuern. Alternativen zu einer weniger Kosten fokussierten Regulierung gäbe es viele: Es wäre zum Beispiel möglich, das Kosten-Nutzen-Verhältnis bestimmter Behandlungen und Arzneimittel eingehender zu prüfen – etwa mittels Health Technology Assessments –, bevor sie in den Leistungskatalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung aufgenommen werden. Sodann sollte auch das Qualitätsbewusstsein der Patientinnen und Patienten gestärkt werden. Ferner müsste die Leistungsvergütung stärker mit dem tatsächlichen Nutzen und der Qualität der medizinischen Behandlungen verknüpft werden. Hier hat der Gesetzgeber mit einer regelrechten Qualitätsoffensive erste wichtige Schritte in die richtige Richtung unternommen.

Diese Liste mit Möglichkeiten zur Rationalisierung der Leistungserbringung liesse sich problemlos verlängern. Solange dieses Potenzial zur Rationalisierung nicht gänzlich ausgeschöpft ist, sollte der Gesetzgeber auf potenziell rationierende Massnahmen verzichten. Stattdessen muss künftig der Nutzen von Leistungen stärker gewichtet werden. Letztlich geht es darum, den Fokus der Leistungsvergütung auf das Zusammenspiel zwischen Kosten und Nutzen zu lenken. Damit lassen sich Kosten sparen sowie Nutzen und Qualität der medizinischen Versorgung verbessern – und das, ohne auf notwendige Leistungen zu verzichten.