Herr Silberschmidt, in rund einem Monat wird das BAG bekannt geben, um wie viel die Krankenkassenprämien steigen. Sie haben im Juli als Sparmassnahme die Idee der Budgetkrankenkasse lanciert und damit für Aufregung gesorgt…

Die Aufregung verstehe ich nicht ganz, denn technisch gesehen ist unser Vorschlag eine Erweiterung der beliebten alternativen Versicherungsmodelle, die wir heute schon haben. Wir möchten einfach, dass es mehr alternative Möglichkeiten gibt.

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Der Gesprächspartner

Andri Silberschmidt ist FDP-Nationalrat, Vize-Präsident der FDP.Die Liberalen Schweiz und Gastro-Unternehmer aus Zürich. Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte er eine Banklehre mit Berufsmatur. Anschliessend arbeitete der 29-Jährige bis 2019 für den Finanzdienstleister Swisscanto beziehungsweise für die Zürcher Kantonalbank (ZKB), wo er als Fondsmanager die quantitativen Fonds für Entwicklungsländer führte. Heute ist Andri Silberschmidt als Sekretär des Verwaltungsrates der Planzer Transport AG tätig.

Zudem ist er Mitbegründer und Verwaltungsratspräsident von Kaisin, einem Gastrounternehmen mit Filialen in den Städten Zürich, Basel und Zug, Verwaltungsrat der Jucker Farm AG sowie Präsident von FH Schweiz, dem Dachverband der Fachhochschul-Absolventinnen und -Absolventen.

Von 2013 bis 2019 studierte er nebenberuflich Betriebsökonomie und schloss mit einem Master in Global Finance an der Bayes Business School in London ab.

Beim Wort «Budget» denken viele Leute sofort, dass eine solche Versicherung kaum Leistungen beinhaltet. Doch das ist wohl nicht Ihre Grundidee?

Ganz und gar nicht. Den Namen haben wir dem Vorstoss gegeben, um ihn leicht verständlich zu machen. Es ist auch mit der Budgetkrankenkasse unser Anspruch, dass das Schweizer Gesundheitswesen hochstehend bleibt. Aber es muss eben auch bezahlbar sein. Ziel ist es, dass Kundinnen und Kunden künftig auch «à la carte» bestellen können und nicht mehr «all you can eat» nehmen müssen. 

Mit unserer Forderung möchten wir zu mehr Transparenz, mehr Wettbewerb und mehr Verantwortung anregen. So sind beispielsweise in den heutigen alternativen Versicherungsmodellen Mehrjahresverträge verboten, was gelinde gesagt suboptimal ist. 

Mehrjahresverträge würden das Interesse der Versicherer, dass ihre Kunden gesund werden, stärken.

Weshalb?

Gerade für chronisch kranke Menschen oder Leute mit mehreren Krankheiten wäre es doch gut, wenn Versicherer in deren Gesundheit investieren und dazu einen Anreiz haben. Wenn die Krankenkasse immer Angst haben muss, dass der Kunde im nächsten Jahr zu einem anderen Versicherer wechselt, hat sie ein weniger starkes Interesse daran, in eine Therapie zu investieren, die vielleicht erst in zwei, drei Jahren wirken wird. Mehrjahresverträge würden das Interesse der Versicherer, dass ihre Kunden gesund werden, stärken.

Braucht es angesichts der starken Regulierung überhaupt noch Zusatzversicherungen?

Ja, absolut. Leider geht die Tendenz dahin, alles in die OKP reinzupacken. In Sachen Zusatzversicherungsprodukte müssen sich die Versicherer dringend weiterentwickeln und allenfalls auch über Zusammenschlüsse nachdenken. 

Sprechen Sie damit Fusionen an?

Nein, ich denke an Zusammenschlüsse, wie derjenige von Visana und Swiss Medical Network. Wenn Leistungserbringer und eine Versicherung zusammen ein Paket schnüren, ist das für mich als Versicherter interessanter, weil ich dadurch eine gesamtheitliche Betrachtung meiner Bedürfnisse erhalte. Zudem entspricht das auch viel mehr dem Solidaritätsgedanken. 

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Wie meinen Sie das?

Als Selbstoptimierer mag es spannender sein, zu schauen, welche Versicherung mir am meisten an meine neue Brille bezahlt, aber im Sinnes des Versicherungs- und damit des Solidaritätsgedankens ist es zielführender, wenn die Versicherer möglichst lange Kundenbeziehungen haben.

Es ist unbestritten, dass bei Krankheiten, die selten sind oder enorm hohe Kosten mit sich bringen, ein Solidaritätsmechanismus greifen muss. Aber bei gewissen Leistungen, die nicht sehr teuer sind, wird die Solidarität durch einen Überkonsum überstrapaziert. Leider gibt es Leute, die wenig in die eigene Gesundheit investieren und dafür umso mehr Leistungen konsumieren. Diejenigen, die gut zu sich schauen, gesund leben und wenig zum Arzt gehen, werden im heutigen System bestraft. Hier sind die Anreize falsch gesetzt.

Die integrierte Versorgung wird so oder so kommen.

Wie könnten die Anreize denn richtig gesetzt werden?

Die Versicherungen besitzen enorm viele Daten – teilweise wissen sie mehr über uns als der Hausarzt. Leider werden sie heute nur als Payer gesehen und nicht als Player. In Sachen Daten sind ihnen die Hände gebunden. So dürfen sie beispielsweise nicht einmal die Patienten darüber informieren, dass sie statt des Originalpräparates auch ein Generikum nehmen könnten. Oder auch darüber, dass sie eine Medikamentenkombination einnehmen, die statistisch gesehen gefährlich sein könnte.

Viele Konsumentinnen und Konsumenten vertrauen ihrem Arzt mehr als ihrem Versicherer…

Natürlich haben die Ärzte den Kontakt zum Menschen, allerdings ist es falsch, die Akteure gegeneinander auszuspielen. Die Versicherer haben Big Data und die Ärzte die qualitative Untersuchung. Das müsste man im Sinne einer integrierten Versorgung viel mehr zusammenbringen. 

Sind Sie zuversichtlich, dass das geschehen wird?

Die integrierte Versorgung wird so oder so kommen. Alleine aufgrund der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels wird man nicht mehr in jedem Tal der Schweiz Spitzenmedizin anbieten können. Dadurch werden die Kantone gezwungen sein, überregional zusammenzuarbeiten. 

Aktuell ist die Anpassung des Ärztetarifes Tardoc ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn in diesem wird die interprofessionelle Zusammenarbeit besser vergütet. 

Was wir brauchen, ist ein System ohne Fehlanreize. 

Apropos Tarife, geht Efas auch in die richtige Richtung?

Sagen wir es so: Es ist dringend notwendig, dass wir endlich ein einheitliches System für den stationären und den ambulanten Bereich einführen. Ob es im Moment in die richtige Richtung geht, ist schwierig zu sagen…

Wenn Santésuisse nun gegen Efas ist, weil die Integration der Pflege zu höheren Prämien führe, erwidere ich: So what, die Prämien werden aufgrund der demografischen Entwicklung so oder so steigen. Ob um sieben oder neun Prozent, darf doch kein solches Generationenprojekt gefährden. Als Politiker muss ich das Gesamtbild betrachten. Was wir brauchen, ist ein System ohne Fehlanreize. 

Welche Rolle spielt der Föderalismus dabei, dass sich die Akteure im Gesundheitssystem derart schwertun mit Reformen und Entscheiden?

Die Nähe zur Bevölkerung und zu den Leistungserbringern ist ein riesiger Vorteil – vorausgesetzt, man nutzt sie richtig. Deshalb bin ich gegen eine Spitalplanung durch das BAG. Dadurch würde das Gesundheitssystem noch mehr in den Beamtenstuben gemacht und weniger bei den Menschen draussen.  

Entscheidend wäre aber, dass der Bundesrat seine Rolle vermehrt moderierend wahrnehmen und die verschiedenen Stakeholder zu einem Kompromiss führen würde. In der Vergangenheit hatte ich das Gefühl, dass das BAG die Praxis «teile und herrsche» lebt. Letzteres führt zu viel verbrannter Erde. Wichtig ist auch, dass alle Akteure in die Pflicht genommen werden. Das heutige System belohnt eher die Destruktiven als die Konstruktiven.

Eigenverantwortung ist nicht nur etwas für die Patienten, sondern auch für alle anderen Akteure.

Viele Leute, mit denen man spricht, wissen sehr wenig über das Gesundheitswesen und vor allem auch darüber, was wie viel kostet. Mittels Aufklärung und Preistransparenz könnten wir bestimmt auch sparen?

Transparenz ist enorm wichtig. Wenn ich weiss, dass es drei verschiedene Behandlungen gibt und wie viel diese kosten, würde das gewisse Behandlungen verhindern. Überall sonst gibt es Preisschilder, im Gesundheitswesen nicht – in einer Marktwirtschaft steuert der Preis die Nachfrage, aber wenn man keinen Preis hat, kann man nicht lenken. Daher habe ich mir auch schon überlegt, ob wir ins Gesetz schreiben sollen, dass die Kosten bekannt sein müssen, bevor man eine Behandlung vornimmt. 

Weshalb haben Sie diesen Schritt noch nicht eingefordert?

Es ist mir bewusst, dass es eine riesige Bürokratie geben würde. Daher appelliere ich an die Verbände der Leistungserbringer: Sie könnten sich selbst gewisse Regeln auferlegen. Es muss nicht immer der Gesetzgeber sein, der den Takt angibt. Eigenverantwortung ist eben nicht nur etwas für die Patienten, sondern auch für alle anderen Akteure.