Das böse Wort «Disruption» ist im Automobilsektor angekommen. Nicht nur wegen diverser Abgasskandale steht kein Stein mehr auf dem anderen. Die etablierten Unternehmen wie Daimler, Volkswagen, Peugeot oder Toyota durchlaufen Prozesse, bei denen ihre bestehenden Geschäftsmodelle infrage gestellt werden.

Stark wachsende innovative Technologien und mit ihnen neue Mitbewerber in den Bereichen E-Mobilität, autonomes Fahren oder Carsharing sind dabei, den gesamten Markt durcheinanderzuwirbeln, wie gerade erst am Genfer Autosalon zu beobachten war. Für Anleger ergeben sich dadurch zusätzliche Investitionsansätze. Doch es ist schwierig, nachhaltige Trends zu erkennen, da heute noch nicht klar ist, wer und was sich langfristig durchsetzen wird.

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Kurzfristig dürfte der Automobilsektor weiter unter seinen zyklischen und strukturellen Problemen leiden. Analysten der UBS rechnen im laufenden Jahr in den USA und in Europa mit keinem Wachstum. Die Margen der Hersteller seien stark unter Druck und die Gewinne dürften noch weiter zurückgehen. Die Aktienkurse werden 2019 wohl volatil bleiben.

Alison Porter, Portfoliomanagerin im Global Technology Team bei Janus Henderson, geht davon aus, dass disruptive Technologien die Automobilindustrie in den nächsten 10 bis 15 Jahren komplett verändern werden. «Die Hersteller dürfen aber nicht den Fehler machen und sich vor diesen Veränderungen verschliessen, wie es etwa im Retail-Sektor geschehen ist», so ihre Warnung.

VW setzt auf Amazon und Siemens

Die Meldungen der vergangenen Wochen lassen hoffen, dass es Schritt für Schritt in die richtige Richtung geht. So verkündete der deutsche Hersteller Volkswagen eine Kooperation mit dem amerikanischen Tech-Multi Amazon und dem Industriekonzern Siemens. Ziel der Dreisamkeit: Die Produktion von VW soll effizienter und flexibler werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Der Konzern muss mit seinen Fahrzeugen deutlich mehr Geld verdienen, wenn er künftig in die Themen E-Mobilität und autonomes Fahren investieren möchte. Mit der Hilfe von Amazon sollen in der «Volkswagen Industrial Cloud» daher alle 122 VW-Fabriken und ihre weltweiten Lieferketten mit über 30 000 Standorten und 1500 Zulieferern vernetzt werden. Wenn Daten aus allen Werken zusammenkommen, sei der Materialfluss leichter zu steuern und Lieferengpässe oder Störungen früher zu erkennen, wie VW erklärt.

Auch die Maschinen und Anlagen sollen miteinander kommunizieren können, um die Fertigungsprozesse zu optimieren. Siemens kümmere sich um die Qualität der gesammelten Daten. Analysten schätzen, dass VW auf diesem Weg rund 2 Prozent auf der Kostenseite einsparen könnte. Die Investitionen, die zuvor nötig sind, dürften im höheren dreistelligen Millionenbereich liegen.

Die Digitalisierung wird auch im Auto selbst eine immer stärkere Rolle spielen. Weil den klassischen Autoherstellern dazu aber auch mehrheitlich die Kompetenzen fehlen, müssen sie sich auch in diesem Bereich öffnen. VW arbeitet diesbezüglich bereits mit Microsoft zusammen. BMW kooperiert mit Intel und Fiat Chrysler und konnte den ewigen Rivalen Mercedes für eine spezielle Zusammenarbeit beim autonomen Fahren gewinnen. Gemeinsam wollen sie eine skalierbare Plattform für die nächste Generation von autonomen Fahrzeugen (auf Level 3 bis 4) entwickeln. Die Allianz soll anderen Technologiefirmen, Autoherstellern und Zulieferern offenstehen. Angeblich sind bereits Bosch und Continental interessiert.

Codename «Titan»

Als ernst zu nehmende Anbieter treiben bereits seit längerem Apple, Tesla und Google die Entwicklung von autonomen Fahrzeugen voran. Das Projekt von Apple (Codename «Titan») ging bereits durch mehrere Testphasen. Der Konzern entwarf zunächst eigene Elektroautos und begann dann mit der Entwicklung von Systemen zum autonomen Fahren.

Aktuell sind Apple-Roboterwagen auf Testfahrten im Silicon Valley unterwegs. Google lässt seit 2009 autonome Autos auf kalifornischen Strassen fahren und gründete dazu die Toch-tergesellschaft Waymo. Nach jahrelangen Versuchen fährt ein erster autonomer Taxidienst in Phoenix, im US-Bundesstaat Arizona. Die Entwicklungskosten für Waymo beliefen sich angeblich auf rund 1 Milliarde Dollar pro Jahr.

Nun ist Waymo auf der Suche nach Investoren. Gerüchten zufolge sind europäische und amerikanische Autohersteller wie VW und Ford an einem Einstieg interessiert. Dies, obwohl Ford ein eigenes Tochterunternehmen namens Argo AI zur Entwicklung von autonomen Fahrzeugen betreibt, bei dem wiederum auch VW gerne mitspielen möchte.

Tesla macht es vor

Im Bereich Elektroautos gilt Tesla als Marktführer. Das neue Model 3 zählte zuletzt in Europa zu den meistverkauften Elektrofahrzeugen – vor dem Renault Zoe, dem Nissan Leaf und dem i3 von BMW. Als wichtigster Absatzmarkt für Tesla gilt Norwegen, wo zuletzt knapp 60 Prozent aller Neuzulassungen auf E-Automobile entfielen. Mit Blick auf die Erfolge von Tesla rüsten derzeit alle bekannten Hersteller hoch.

Am Autosalon in Genf wurden 15 neue Elektroautomobile vorgestellt. Für Aufsehen sorgten der Audi Q4 E-Tron, ein E-SUV mit Allradantrieb, sowie der Honda e Prototype, der Peugeot 208 und der Skoda Vision IV. BMW und Mercedes hinken noch hinterher, wollen aber über eine gemeinsame Elektro-Herstellungsplattform neue Modelle entwickeln. BMW plant eine Weiterentwicklung des i3 zu einem leichteren Fahrzeug mit grösserer Reichweite (i2). Mercedes würde dann vermutlich auf eine Elektrovariante der A-Klasse (Mercedes EQA) setzen. Ein Markteintritt vor 2024 ist allerdings unwahrscheinlich.

Alte und neue Welt

Angesichts des langen Vorlaufs müssen Anleger, die sich im traditionellen Autosektor positionieren möchten, vor allem Geduld haben. Darauf deuten auch die verhaltenen Geschäftsausblicke der grossen europäischen Player BMW, Daimler, VW und Peugeot hin. Bei Fiat Chrysler sieht es nicht besser aus.

Auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnisses sind alle Aktien im Moment allerdings günstig bewertet, was für risikofähige Investoren attraktiv ist. Wer kurzfristig noch einmal auf die alte Autowelt setzen möchte, ist mit Titeln von US-Hersteller Fiat Chrysler (KGV 4) gut dabei. Die Zukunft kaufen Anleger mit Tesla (KGV 71) und BMW.