Nachdem die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt nach dem Ausbruch der Pandemie Anfang des Jahres abrupt zum Stillstand gekommen war, läuft der Motor in China nun langsam wieder an. Und trotz so manchem lokalen Wiederaufflammen waren die Nachrichten von Covid-19 in China in letzter Zeit positiver als in vielen anderen Gegenden der Welt.

Steven Watson ist Portfoliomanager für Aktien bei Capital Group mit Sitz in Hongkong.

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Dabei schätzt die chinesische Regierung auch die Aussichten auf eine rasche wirtschaftliche Erholung recht optimistisch ein – auch wenn einige der anderen wichtigsten weltweiten Volkswirtschaften derzeit zum Stillstand gekommen sind. Aufgrund der schlechten globalen Stimmung und der sinkenden Ölpreise stellt sich für viele Investoren die Kernfrage: Wird die chinesische Wirtschaft diesen Schocks standhalten, sich schnell erholen und wieder auf den richtigen Weg zurückfinden?

PMI bei 52,0 Punkten

Wir gehen nicht davon aus, dass sich die chinesische Wirtschaft schnell normalisieren wird. Das erste Anzeichen für eine Erholung war der offizielle Purchasing Manager Index (PMI) für China, der für das verarbeitende Gewerbe im März einen Wert von 52,0 erreichte. Dieses Ergebnis deutet nach dem Rekordtief im Februar auf eine Expansion hin und steht im Gegensatz zu der Erwartung einer Kontraktion.

Der PMI ist jetzt wieder auf neutralem Terrain. Inzwischen ist der Dienstleistungsindex in den positiven Bereich geschwenkt, die Hotelbelegung ist gestiegen, die Infrastruktur boomt, der Auto- und Immobilienverkauf hat sich verstärkt. Dennoch glauben wir, dass China, das bereits vor dem COVID-19-Ausbruch mit der geringsten Geschwindigkeit seit 30 Jahren wuchs, ein weiteres Quartal lang ein negatives Wirtschaftswachstum verzeichnen wird.

Die Krise ist noch nicht überstanden: Die Exporte sind schwach, die Arbeitslosigkeit besorgniserregend hoch, und die Verbraucherstimmung bleibt gedämpft. Mit einer leichten Wachstumserholung ist erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 zu rechnen.

Weltwirtschaft beeinflusst verarbeitenden Sektor

Auch die unsicheren Aussichten für die Weltwirtschaft trüben die Hoffnung auf einen schnellen Aufschwung in China. Denn obwohl das Land heute weit weniger exportabhängig und folglich besser gegen externe Schocks gewappnet ist, wird der verarbeitende Sektor des Landes bei einer weltweiten Konjunkturabkühlung immer noch die Auswirkungen der geringeren globalen Nachfrage spüren.

Wie lange dies andauert, wird massgeblich von der Länge der COVID-19-Pandemie rund um den Globus abhängen – und diese ist leider noch immer nicht final prognostizierbar. Sollte die Erholung der Weltwirtschaft in den kommenden vier Monaten starten, wäre es noch möglich, dass das derzeitige Konsumdefizit zumindest teilweise aufgeholt wird. Eine länger andauernde Krise könnte hingegen weltweit zu einer erheblichen Anzahl von Konkursen führen, woraus wiederum verringerte Produktionskapazitäten resultieren würden.

Das zweite Szenario hätte deutlich stärkere negative Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft. In diesem Fall wäre die Bereitschaft der chinesischen Verbraucher, in Zeiten eines schwachen Wirtschaftswachstums Ausgaben zu tätigen, entscheidend für das Tempo, in dem sich die chinesische Wirtschaft erholt. 

Weitreichende finanzpolitische Stimuli möglich

Abgesehen von diesen Unsicherheiten besitzt China viele Möglichkeiten, um sein Wirtschaftswachstum wiederherzustellen. Der Grund dafür ist, dass der chinesischen Regierung im Vergleich zu anderen Ländern eine weit umfangreichere Auswahl an Instrumenten zur Verfügung steht, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Zu diesen Optionen gehören Infrastrukturausgaben, wie die Finanzierung von Infrastrukturprojekten durch die Emission von Anleihen, sowie die Lockerung der Kreditvergabebeschränkungen, die Förderung privater Investitionen in Eigentum und Produktionskapazitäten, Steuererleichterungen und -nachlässe, mildere Rentenbeiträge als auch direkte Verbraucherzuschüsse.

Weitere Senkungen

Darüber hinaus wird die Chinesische Volksbank wahrscheinlich mit weiteren Senkungen des Mindestreservesatzes (RRR) und verschiedenen anderen Formen der Lockerung reagieren. Sie könnte zum Beispiel die Leitzinsen um 200 Basispunkte senken und diese würden dabei immer noch deutlich über null liegen.

Zudem kann die Regierung auch weitere finanzpolitische Anreize erlassen, da das Defizit des Landes unter fünf Prozent des BIP liegt. Erst kürzlich haben Gesetzgeber die Banken angewiesen, die fälligen Kreditrückzahlungen für kleine und mittlere Unternehmen zu verlängern, um eventuelle Liquiditätsprobleme zu mildern.

Ölpreise beflügeln und hemmen zugleich

Die sinkenden Ölpreise könnten für China jedoch ein zweischneidiges Schwert sein: Auf der einen Seite wird das Land von den niedrigeren Ölpreisen profitieren, da es etwa 60 Prozent seines Öls importiert. Wenn die Ölpreise auf dem derzeitigen Niveau bleiben, wird die Regierung wahrscheinlich auch die Ölreserven erhöhen, um von den attraktiven Preisen zu profitieren.

Auf der anderen Seite werden die stark auf Öl fokussierten Staatsunternehmen die niedrigen globalen Ölpreise zu spüren bekommen, wenn diese Öl exportieren. Ebenso werden die Sektoren der erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne Rückschläge aufgrund der Ölpreise erleiden, denn deren Wachstum wurde in den letzten Jahren durch die hohen Preise wettbewerbsfähiger Energiequellen wie beispielsweise Öl angekurbelt.

Obwohl wir insgesamt zwar optimistisch sind, und es lohnt sich, diese Frühlingsknospen in der chinesischen Wirtschaft zu erwähnen, herrscht nach wie vor Unsicherheit, und es kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden, wie schnell sich die chinesische Wirtschaft im Endeffekt erholen wird.