In einem gemeinsamen Memorandum erheben sieben ehemalige Zentralbanker ihr Wort gegen die jüngsten Entscheide der Europäischen Zentralbank. «Als ehemalige Zentralbanker und als europäische Bürger erleben wir die anhaltenden Krisenmodus der EZB mit wachsender Besorgnis»: So beginnen sie den offenen Brief.

Unterschrieben wurde der Text von Ex-Zentralbankern aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Österreich; veröffentlicht wurde er via «Bloomberg». Auslöser ist die im September verkündete Zinssenkung sowie die Wiederaufnahme des Anleihe-Kaufprogramms durch die EZB.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Inflationsziel aufgegeben

Langsam werde klar, dass die EZB-Spitze das offizielle Inflationsziel von 2 Prozent faktisch aufgegeben und stillschweigend gesenkt hat; jetzt erachte sie schon eine Teuerungsrate von 1,5 Prozent als inakzeptabel. Auf der anderen Seite rechtfertige sie ihre «ultra-lockere Geldpolitik» mit Deflationsrisiken. Nur: Diese Gefahr habe nie bestanden. «Die Geldpolitik der EZB basiert daher auf einer falschen Diagnose.»

Wer steht hinter dem «Anti-Draghi-Memorandum»?
  • Herve Hannoun, früherer Vizegouverneur der Banque de France.
  • Otmar Issing, Präsident des Center for Financial Studies, früheres Mitglied des EZB-Direktoriums.
  • Klaus Liebscher, früherer Gouverneur der Österreichischen Nationalbank und Mitglied des EZB-Rates.
  • Helmut Schlesinger, ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank.
  • Jürgen Stark, ehemaliger Chefökonom der EZB, Mitglied des EZB-Direktoriums.
  • Nout Wellink, ehemals Gouverneur De Nederlandsche Bank, Präsident der BIZ, Gouverneur des IWF, Mitglied des EZB-Rates.

Jacques de Larosière, Ex-Präsident der Banque de France, ehemaliger Direktor des IWF, gehört nicht zu den Erstunterzeichnern, aber sprach dem Papier seine Unterstützung aus.

Das Argument, dass die EZB ihr Mandat verletze, wenn die Inflationsrate zu tief rutsche, sei dabei «einfach falsch» («simply inaccurate»). So etwas lasse sich aus dem Maastricht-Vertrag nicht ableiten. 

Auf der anderen Seite würden Anleihekäufe der EZB nach all den Jahren des Quantitative Easing keinen positiven Effekt aufs Wachstum mehr haben – dies sei inzwischen Konsens unter den Experten. Die Logik der EZB sei also kaum noch zu verstehen. 

Der Verdacht: Es geht nur noch darum, überschuldete Regierungen zu stützen.

Was lässt sich also daraus folgern? Dazu das Memo: «Der Verdacht, dass hinter der Massnahme die Absicht steht, schwer verschuldete Regierungen vor steigenden Zinsen zu bewahren, wirkt zunehmend gut begründet.» Ökonomisch gesehen habe die EZB diese Grenze bereits überschritten. Nur: Dies sei «strictly prohibited» durch den Maastricht-Vetrag.

«…even in a deep crisis»

Bei den Negativzinsen wiederum seien wir an einem Punkt, wo sich die beabsichtigte Wirkung ins Gegenteil dreht.

  • Der schädliche Impact der ultratiefen Zinsen breite sich aus, so das Papier weiter – vom Bankensystem über die Versicherungen und Pensionskassen auf den gesamten Finanzsektor.
  • Die Umverteilung zugunsten jener, die bereits Vermögen besitzen, schaffe soziale Spannungen.
  • Die jüngere Generation fühle sich benachteiligt, weil sie kaum noch die Möglichkeit hat, aufs Alter hin sichere Zinsanlagen zu tätigen.
  • Und die Jagd auf die letzten Renditechancen blase den Preis vieler Anlageklassen auf ein Niveau hoch, bei dem eine abrupte Marktkorrektur droht, wenn nicht gar eine tiefe Krise

Auf der anderen Seite würden schwache Banken und schwache Unternehmen nun künstlich am Leben gehalten. «Zu den ernsthaften negativen Effekten sehr tiefer oder gar negativer Zinsen gehört eine "Zombifizierung" der Wirtschaft, die laut Studien von OECD wie BIZ in einigen Ländern schon ein beträchtliches Niveau erreicht hat.»

Grundsätzlich gelte: Je länger die Zinsen extrem tief bleiben und Europa mit Liquidität geflutet wird, desto grösser werde die Gefahr eines Rückschlags. Wörtlich schreiben die Autoren: «Sollte eine grössere Krise eintreffen, wird sie ganz andere Dimensionen annehmen als die, die wir früher gesehen haben.» Die EZB drohe die Kontrolle über die Schaffung des Geldes zu verlieren. 

(rap)