Die Zuwanderung in der Schweiz steht an der Schwelle zur nächsten Ära, wenn der Inländervorrang in Kraft tritt. Der vergleichsweise milde Kompromiss resultierte aus der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative, so wollten Parlament und Regierung die Balance zur Personenfreizügigkeit halten. Die ungebremste Zuwanderung aus EU-Ländern gilt jetzt seit 15 Jahren – und eine Studie des Seco zieht Bilanz über die Auswirkungen auf den Schweizer Arbeitsmarkt.

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Die Langzeitbetrachtung bestätigt dabei: Viele der Befürchtungen in Bezug auf die Zuwanderung in die Schweiz lassen sich durch Zahlen nicht belegen. Einige schon. Die Studie des Seco weist unter dem Strich vier positive Effekte der Personenfreizügigkeit nach – und einen negativen:

1) EU-Ausländer verhelfen Einheimischen zu mehr Jobs

Die Zuwanderung von Bürgern aus dem Raum der Europäischen Union hat sich mit dem Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit im Durchschnitt um 60 Prozent gesteigert. Kamen in den Neunziger Jahre jährlich knapp 26'000 Personen aus dem Raum der EU/EFTA-Staaten, sind es nach 2002 gut 42'000. Allerdings schwankt die Entwicklung stark parallel zur Konjunktur – 2008, kurz vor der Finanzkrise, wanderten noch mehr als 61'000 Menschen aus der EU in die Schweiz ein. Vergangenes Jahr waren es nur noch 35'000.

Selbst die Phasen der hohen Zuwanderung aber haben die Erwerbsbeteiligung der Schweizer nicht gebremst. Viele Faktoren sprechen laut Seco dafür, dass sie das Wachstum hierzulande unterstützt hat. Zuwanderung habe demnach höchstens in Teilbereichen des Arbeitsmarktes zu Konkurrenzsituationen geführt. In allen drei Sprachregionen der Schweiz ist die Erwerbstätigkeit zwischen 2002 und 2016 gestiegen.

2) Zuwanderung erfolgt nach Bedarf

Auch wenn in einzelnen Bereichen wie zum Beispiel dem Baugewerbe ausländische Mitarbeiter die inländischen konkurrieren, erfolgt die Zuwanderung laut Seco weitestgehend komplementär. Das bedeutet, die Schweiz zieht in den Bereichen Arbeitskräfte an, in denen diese fehlen.

Zuwanderung erfolge nach Pull- und nicht nach Push-Faktoren, stellte George Sheldon, Arbeitsmarktökonom an der Universität Basel bereits Anfang Jahr gegenüber handelszeitung.ch fest. Hiesige Firmen blieben weiter auf ausländische Fachkräfte angewiesen, weil es zu wenige Naturwissenschaftler und Techniker im Land gebe. Eine Studie der Konjunkturforschungsstelle Kof über Firmen in Grenzregionen bestätigte, dass diese dank Zuwanderern überdurchschnittlich wuchsen.


3) Die Personenfreizügigkeit senkt die Arbeitslosigkeit bei Ausländern

Eine Befürchtung gegenüber Zuwanderern ist oft, dass diese das Sozialsystem belasten. Hier hat die Personenfreizügigkeit für einen positiven Trend gesorgt. Ausländerinnen und Ausländer, die vor 2002 eingewandert sind, weisen mit 8,2 Prozent Erwerbslosigkeit eine hohe Quote auf. Bei EU-Zuwanderern nach 2002 liegt diese Quote nur noch bei 7 Prozent.

Das ist allerdings immer noch höher als bei Schweizern mit 3,5 Prozent. Die höheren Zahlen bei den Zugewanderten erklärten sich teils damit, dass sie in Sektoren mit saisonal schwankenden Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Insgesamt aber zeigt sich bei Personen, die unter dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) einwandern, dass diese vor allem in den ersten Jahren unterdurchschnittlich Leistungen beziehen. 91 Prozent der unter dem FZA eingewanderten Personen haben in den ersten vier Jahren nach ihrer Ankunft in der Schweiz keine Leistungen bezogen.

4) Die Löhne von Hochqualifizierten werden gebremst

Die Löhne von Zuwanderern liegen im Durchschnitt unter denen der Schweizer, sind dafür in den vergangenen Jahren aber stärker gewachsen. Zwischen 2002 und 2016 fand so eine graduelle Annäherung statt. 2014 lag der Medianlohn von Schweizerinnen und Schweizern bei 6722 Franken und damit noch 4 Prozent über dem Medienlohn aller Arbeitnehmenden.

Deutlich unterdurchschnittlich fiel die Lohnentwicklung bei Erwerbstätigen mit Universitäts- oder Fachhochschulabschluss aus. Das weist laut Seco daraufhin, dass die grosse Zahl der hochqualifizierten Zuwanderern hier das Wachstum gedämpft haben kann.

5) Die Schweiz ist derzeit weniger attraktiv

In den vergangenen zwei Jahren näherte sich die Zuwanderung der Zahl von 60'000 Menschen jährlich an und wird für 2017 zwischen 50'000 und 60'000 erwartet, rund zwei Drittel davon aus der EU.

Eine grosse Rolle spielt dabei die verbesserte Wirtschaftssituation in den Herkunftsländern. Vor allem deutsche Hochqualifizierte hatten in den vergangenen Jahren weniger Grund, in die Schweiz zu wechseln, weil sich der Jobmarkt für sie in der Heimat entspannt hat.