Der Hype kam wie aus dem Nichts: Plötzlich posierten US-Stars auf ihrem Instagram-Account mit «Green Smoothies» in der Hand – einem Gemisch aus verschiedenen Gemüse- und Fruchtsorten. Prominenter Vertreter bei den meisten Saftmischungen: Kale, oder zu Deutsch Federkohl. Zuletzt noch ein vergessenes Oma-Gemüse, eroberte das grüne Kraut die Food- und Fitnessblogs im Sturm. Starkoch Jamie Oliver hat Kale-Chips, Kale-Salat, -Eintopf, -Muffins und -Smoothies in sein Repertoire aufgenommen.

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Der endgültige Durchbruch für das Trend-Gemüse kam, als Weltberühmtheit Beyoncé Anfang 2015 gar mit einem «Kale»-T-Shirt in ihrem Videoclip zu «7/11» herumsprang. Rund 361 Millionen Nutzer haben sich das Video auf Youtube bereits angeschaut. Dass das Kraut zieht, ist auch an Grosskonzernen nicht vorbeigegangen: McDonalds führte in seinen US-Filialen kurzerhand einen Kale-Salat ein. Starbucks nahm, ebenfalls in den USA, einen Green Smoothie ins Sortiment auf.

Schweizer Kale-Importe verneunfacht

Auch in Schweizer Supermärkten kommt man seit einigen Monaten nicht um das Grünzeug herum: In den Auslagen stapeln sich Boxen mit Kale Chips, in den Kühlregalen reihen sich grüne, kaltgepresste Säfte aus Federkohl und Sellerie aneinander. Daneben spriessen Saftketten- und Deliveries aus dem Boden. Mit dem grünen Genuss lässt sich hierzulande ordentlich Geld machen. Bei Coop kostet ein grüner Smoothie der Marke Innocent 3,20 Franken, in Saftläden und Ketten geht das grüne Gold meist für 6,50 bis 10 Franken über den Tisch. Bei Juice-Abos geht’s noch teurer: Das Zürcher Label Sasou liefert Kunden zwei kaltgepresste Juices à 500ml am Tag für 25,50 Franken.

Beyonces Kale-Moment:

 

Um der gestiegenen Nachfrage nach Federkohl gerecht zu werden, haben sich die Einfuhrmengen des grünen Krauts in der Schweiz im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr knapp verneunfacht, wie Moana Werschler vom Verband Schweizer Gemüseproduzenten sagt. Wurden 2014 noch 14 Tonnen Federkohl importiert, waren es 2015 schon 125 Tonnen. Der inländische Anbau habe zudem seit 2013 signifikant zugenommen, die Anbaufläche zwischen 2013 und 2015 verdoppelt, so Werschler.

Neuausrichtung auf Millenials

Und in den USA steht schon das nächste Supergemüse bereit. PR-Profis bringen einen Nachfolger für den Federkohl in Stellung. Der Rübstiel, auf Englisch «Broccoli Rabe» oder kurz «Rubini» genannt. Dieser hat trotz seines Namens nichts mit Brokkoli zu tun. Das Grünzeug sieht eher aus wie Unkraut und ist selbst bei Gesundheits-Fanatikern bislang eher unter dem Radar gefahren. Das wollen Marketingspezialisten ändern. Hinter dem Rübstiel hat sich ein PR-Team versammelt, das versucht, das Stangengemüse in einer konzertierten Aktion als «Superfood» zu vermarkten. Zentral ist die kalifornische Firma D’Arrigo Bros., die in den USA 80 Prozent der grünen Blätter unter dem Label Andy Boy verkauft.

Bis vor kurzem hatte die Firma mit Claudia Pizarro-Villalobos ein Ein-Frau-Marketing-Team. Pizarro-Villalobos fiel auf, dass die typischen Rübstiel-Kunden langsam alt wurden. «Ich merkte, wenn wir erfolgreich bleiben wollen, müssen wir uns auf die Millenials ausrichten», so die Marketing-Managerin zum «Wall Street Journal». Den Rübstiel als Superfood zu vermarkten, ist keine so leichte Aufgabe: Das Kraut schmeckt leicht säuerlich, welkt schnell und lässt sich roh kaum in Salaten unterbringen.

Tausende folgen dem Rübstiel

Dennoch profitiert der Rübstiel davon, dass der Federkohl bereits ein Küchenstar ist und so den Weg für die Vermarktung von noch mehr Grünzeug geebnet hat. Gingen Marketing-Budgets in den vergangenen Jahrzen primär für abgepackte Produkte drauf, fassen PR-Agenturen nun vermehrt landwirtschaftliche Produkte ins Auge. Dafür engagieren sie Promi-Köche, Social-Media-Experten und digitale «Influencer», wie Instagram-Stars mit Tausenden Followern oder Youtube-Stars mit eigenen Kochshows.

Auf diese setzt auch Andy Boy: Zusammen mit Candice Kumai, Fitness-Bestseller-Autorin und eine der berühmtesten Wellness-Bloggerinnen der USA, lancierte der Gemüsevertrieb eine Kampagne für den Rübstiel. Kumai, die sich selbst auf ihrem Blog als «Grüne Göttin» beschreibt, erscheint in einem Youtube-Video mit dem Namen «Broccoli Rabe: Fuel Your Body» (Rübstiel: Heiz deinen Körper an»). Grünzeug schnippelnd, seilspringend und Smoothie mixend inszeniert Kumai den Rübstiel als neues Wellness-Superfood. Das Video wurde bereits über 250'000 Mal angeklickt. Begleitet wird die Aktion auf Instagram, wo der Account «eatbroccolirabe» bereits knapp 4000 Follower hat, über 16'500 Beiträge sind bereits unter dem Hashtag #broccolirabe zu finden.

Fitness-Autorin Candice Kumai im Rübstiel-Werbespot:

Hunderte von Dollar für Food-Blogger

In der landesweit bekannten Talkshow «The Wendy Williams Show» bereitete Kumai im Herbst 2015 Rübstiel-Pizza und Rübstiel-Salat zu. Am selben Tag brachte die New Yorker Marketing-Agentur LaForce 70 Food- und Fashion-Autoren und -Blogger, sowie digitale Trendsetter zusammen. Wieder kochte Candice Kumai, während Kellner in «Eat Broccoli Rabe»-Shirts die Häppchen an die Gäste verteilten.

Die Kampagne zündete: Grosse Magazine und Food-Blogger schwärmen vom neuen Super-Green. Für letztere lohnt sich das Geschäft mit dem Rübstiel: Sie erhalten mehrere Hundert Dollar, wenn sie Rezepte mit dem hippen Grünzeug entwickeln, sagte LaForce gegenüber dem «Wall Street Journal».

Mini-Gemüse boomt in der Schweiz

Ob der Rübstiel demnächst auch die Schweiz erobert, ist noch nicht entschieden. Beim Gemüseverband hat man zumindest noch nicht vom neuen Trendgemüse gehört. Hierzulande sei vor allem Snack-Gemüse im Mini-Format gefragt: Mini-Gurken, Cherry-Tomaten, Mini-Peperoni, Mini-Lattich. Und auch anderes Grünzeug wird ordentlich vermarktet: Ein Werbespot (siehe Youtube-Video) preist heimisches Sommergemüse an, der Gemüseverband betreibt einen TV-Channel – das «Gemüse-TV». Die eigene Facebook-Seite kann mit den amerikanischen Dimensionen nicht mithalten: Hier haben sich aber immerhin über 2'700 Fans zu einem «Like» durchgerungen.

 

Redaktorin Caroline Freigang
Caroline Freigangschreibt seit 2019 für den Beobachter – am liebsten über Nachhaltigkeit, Greenwashing und Konsumthemen.Mehr erfahren