Der vom russischen Präsident Putin entfesselte Angriffskrieg auf die Ukraine bedroht die internationale Friedensordnung. Er bringt unermessliches Leid über die ukrainische Zivilbevölkerung und erinnert uns daran, dass die Freiheit und der Frieden, die wir in Europa geniessen, auch im 21. Jahrhundert schnell aus dem Gleichgewicht geraten kann.  

In ökonomischer Hinsicht zeigt der Ukraine-Konflikt die Abhängigkeit der europäischen Volkswirtschaften von Erdgasimporten aus Russland. Damit verbindet sich diese aktuelle politische Krise mit einer anderen Krise – der Klimakrise –, die unsere Lebensweise weltweit bedroht und eine grosse globale Herausforderung darstellt.    

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Alles nur Greenwashing    

Die Bewältigung des Klimawandels ist längst auch ein zentrales Element für die Finanzwelt. So fordert der jüngste Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen, die Anstrengungen im Bereich der nachhaltigen Finanzen zu verdoppeln, um den wirtschaftlichen Übergang zu unterstützen. In Europa wurde ein Grossteil der Vorschriften zu diesem Thema so gestaltet, dass sie zwischen «grün» und «nicht grün» unterscheiden.

Über den Autor

Patrick Odier ist Senior Partner bei Lombard Odier. Er trat 1982 in die Lombard Odier Gruppe ein und absolvierte seine Ausbildung in Zürich, New York und Montreal, bevor er 1986 Managing Partner wurde. Er besitzt einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Universität Genf und einen MBA in Finanzwesen der Universität Chicago. Des Weiteren ist er Präsident des Verbandes Swiss Sustainable Finance (SSF) und präsidiert Building Bridges, eine Initiative zur Förderung einer nachhaltigen Finanzwirtschaft in der Schweiz und weltweit.      

Die jüngste Aufnahme von Erdgas und Kernkraft in die europäische Taxonomie hat diese Bemühungen getrübt. Die starken Meinungen in dieser Debatte machen deutlich, dass die Unterscheidung zwischen grün und nicht grün nicht immer eindeutig ist. Dies hat einige Beobachterinnen und Beobachter dazu veranlasst, sie als «gigantische Greenwashing-Operation» (Taxonomygate) zu bezeichnen.    

Auf Investoren und Unternehmer kommt es an  

Abgesehen von der Kontroverse ist es zwar wichtig, zu unterscheiden, was grün ist und was nicht, aber noch wichtiger ist es, dass die Investoren und Sparerinnen als Akteure des Übergangs wissen, was grün ist und was nicht. Viele Unternehmen im Industrie- und Materialsektor sind beispielsweise durch hohe Emissionen, eine starke Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und grosse Abfallmengen gekennzeichnet.

Auch in der Lebensmittelindustrie können erhebliche Mengen an Plastikmüll oder Wasser verbraucht werden. Diese Auswirkungen können nur verringert werden, wenn das Kapital in Unternehmen mit glaubwürdigen und ehrgeizigen Umstellungsplänen fliesst. Es wäre daher unglücklich, sich auf den Kohlenstofffussabdruck zu beschränken.  

Die Schweiz als Vorreiterin im nachhaltigen Finanzwesen  

Ende 2021 kündigte der Bundesrat an, «international führend in der nachhaltigen Finanzierung mit Klimatransparenz» sein zu wollen. Zu diesem Zweck hat das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) die Entwicklung eines Mindestqualitätskriteriums für einen freiwilligen, von der Branche geführten Klima-Score vorangetrieben. In der Praxis soll dieser Klima-Score den Marktteilnehmenden eine Orientierungshilfe dabei bieten, wie ihre Investitionen mit den Hauptzielen des Pariser Abkommens abgestimmt werden können, nämlich durch die Erwärmung auf deutlich unter 2°Celsius und wenn möglich auf 1,5°Celsius zu begrenzen. Der Klima-Score soll also eine wissenschaftliche Perspektive auf die Angemessenheit des Dekarbonisierungspfads von Finanzmarktinvestitionen bieten.  

Ein solcher Score, der Investorinnen und Sparer darüber informiert, auf welches Niveau der globalen Erwärmung ihre Investitionen ausgerichtet sind, könnte bemerkenswert intuitiv und effektiv sein, da er die Kluft zwischen der Investmentwelt und der Klimawissenschaft überbrücken würde.  

Ein Klima-Score als Mass für den Übergang  

Die Klimabilanzinitiative der Bundesregierung enthält eine zukunftsorientierte Komponente in Form von Messungen des impliziten Temperaturanstiegs (ITR). Die Berechnung dieser ITR erfordert wissenschaftliche Strenge und Expertenurteile und beinhaltet notwendigerweise ein gewisses Mass an Schätzungen und Annahmen.

Infolgedessen können verschiedene Ansätze zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen über die Klimaausrichtung einer Investition oder eines Portfolios führen. Dazu können beispielsweise unterschiedliche Ansichten zur Glaubwürdigkeit der Emissionsreduktionsverpflichtungen von Unternehmen, die Schätzung der Emissionen von Unternehmen oder unterschiedliche Ansichten zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit verschiedener Dekarbonisierungspfade in einem bestimmten Sektor gehören.  

Brauchbare Qualitätssiegel entwickeln  

Bis zu einem gewissen Grad sind diese Unterschiede wünschenswert und spiegeln die Komplexität des Klimawandels und die damit verbundene Unsicherheit wider. Es ist möglich, die Konvergenz von Ansätzen zu fördern und unerwünschte Quellen von Unterschieden zu beseitigen. Genau das ist das Ziel der Initiative der Bundesregierung, die auf der Arbeit des Portfolio Alignment Teams (PAT) aufbaut, das wiederum von der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) beauftragt wurde.  

«Beim nachhaltigen Investieren gibt es noch viel zu tun»

Patrick Odier beschäftigt sich seit 25 Jahren mit klimafreundlichem Investieren. Er begrüsst, dass neue Standards Transparenz schaffen sollen. Das Interview (Abo).

Letztendlich besteht das Ziel des SIF darin, ein Qualitätssiegel für Ansätze zu schaffen, die legitimerweise verwendet werden können, um die Ausrichtung von Portfolios auf den Klimawandel zu bewerten. Als solches ist es als Anreiz zur Förderung bewährter Verfahren gedacht.  

Unternehmen identifizieren, die auf dem richtigen Weg sind  

Am wichtigsten ist vielleicht, dass anerkannte Klima-Scores es den Anlegern und Anlegerinnen ermöglichen würden, Unternehmen und Portfolios zu identifizieren, die sich auf glaubwürdige Weise grün entwickeln, und Fälle zu erkennen, in denen die Ansichten auseinandergehen – wie im Falle von Gas, Atomkraft oder einzelnen Unternehmen. Kurzfristig sollte die Verwendung dieser Kennzeichnungen die Anlegenden dazu ermutigen, eine breitere Perspektive einzunehmen. Dies bedeutet, dass sie über den aktuellen Fussabdruck der Unternehmen hinausblicken und sich auf die Qualität und Angemessenheit der Pläne eines Unternehmens zur Verringerung dieses Fussabdrucks im Laufe der Zeit konzentrieren.  

Die Initiative des Bundesrates ist daher zu begrüssen. Nicht als zusätzliche Regulierungsquelle, sondern als Mittel zur Förderung des kritischen Denkens und der wissenschaftlichen Untersuchung der Massnahmen und Fähigkeiten, die zur Bewertung der Portfolioausrichtung während des Übergangs zu Netto-Null erforderlich sind.    

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