Von Zeit zu Zeit kommt es zu einem monumentalen technologischen Fortschritt, der die Art und Weise, wie Unternehmen geführt werden, auf den Kopf stellt. Und laut einem der führenden Tech-Manager an der Wall Street stehen wir dank der jüngsten Durchbrüche bei der Künstlichen Intelligenz (KI) kurz vor einem weiteren.

«Ich wurde in den 60ern geboren. Ich habe die Zeit vor den Computern miterlebt und bin ein Nerd, seit ich zehn Jahre alt bin. Ich habe mit so ziemlich allem gespielt, und dieses Ding fühlt sich zumindest für mich instinktiv wie eines der zwei oder drei wirklich grossen Dinge an, die ich je in meinem Leben gesehen habe», sagte Marco Argenti, Leiter der Informationsabteilung von Goldman Sachs, im Gespräch mit Business Insider über grosse Sprachmodelle. Grosse Sprachmodelle (auf Englisch Large Language Models, abgekürzt als LLMs) ist die Form der KI, die hinter Chat GPT steht.

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Seit der Einführung von Chat GPTdem leistungsstarken KI-Chatbot, der auf nahezu jede Frage oder Aufforderung menschenähnliche Antworten geben kann – haben Menschen und Unternehmen gleichermassen die Anfänge einer Technologie erlebt, die viele für revolutionär halten. Die Wall Street bildet da keine Ausnahme.

Seit 2018 mit KI-Team unterwegs

Für Goldman Sachs ist KI nichts Neues. Die Bank hat sich für diese Technologie starkgemacht, seit sie 2018 Dimitris Tsementzis eingestellt hat, um ein Team mit derzeit etwa 15 Mitarbeitern aufzubauen, das die Grundlagen für maschinelles Lernen und KI bei Goldman schaffen soll. Mit den Fortschritten in der generativen KI und den grossen Sprachmodellen hat sich der Bereich der Möglichkeiten weit geöffnet.

Mit dem Potenzial sind jedoch auch einige Unsicherheiten in Bezug auf geistiges Eigentum, Regulierung und Datenschutz verbunden. Obwohl Goldman – wie auch Citibank und JPMorgan – seinen Mitarbeitern den Zugang zu Chat GPT verwehrt, arbeitet die Bank weiterhin mit der Technologie. Argenti merkte an, dass sich die Sperrung von Chat GPT durch die Banken nicht von dem Standardverfahren unterscheide, mit dem Unternehmen den völlig uneingeschränkten Internetzugang auf Arbeitsgeräten sperren. «Es gibt Sicherheit und Nützlichkeit, und an dieser Schnittstelle müssen wir uns bewegen», sagte er. Argenti und Tsementzis skizzierten drei Möglichkeiten, wie Goldman mit grossen Sprachmodellen experimentiert.

KI kann Daten aus Dokumenten zusammenfassen und extrahieren

Der Prozess beim Dokumentenmanagement bei Goldman könne durch den Einsatz generativer KI verbessert werden, so Argenti. Banken hätten mit zahllosen Rechtsdokumenten zu tun, die sich auf Dinge wie Kredite, Hypotheken und Derivate beziehen. Diese unstrukturierten Dokumente, die oft von Anwälten verfasst werden, seien äusserst komplex und könnten nicht einfach in eine Maschine eingegeben werden. «Das ist ein Problem, an dem wir schon lange arbeiten», so der Leiter der Informationsabteilung.

Da generative KI sehr gut darin sei, unstrukturierte Informationen zu erfassen und zusammenzufassen, könne die Bank die Technologie nutzen, um die notwendigen Informationen zu extrahieren und sie in eine Form zu bringen, die von einer Maschine gelesen werden könne. Die meisten Banken verwenden bereits eine Form der KI, die sogenannte natürliche Sprachverarbeitung, um Daten aus unstrukturierten Dokumenten zu entnehmen. Grosse Sprachmodelle könnten jedoch ein effizienterer Weg sein, um dasselbe Problem anzugehen, und möglicherweise weitaus schneller arbeiten als das, was derzeit eingesetzt wird.

Dimitris Tsementzis, Leiter der Abteilung für maschinelles Lernen, und Marco Argenti, Leiter der Informationsabteilung, haben Pläne für den Einsatz Künstlicher Intelligenz bei Goldman Sachs.

Dimitris Tsementzis, Leiter der Abteilung für maschinelles Lernen, und Marco Argenti, Leiter der Informationsabteilung, haben Pläne für den Einsatz Künstlicher Intelligenz bei Goldman Sachs.

Quelle: Goldman Sachs

KI kann Ingenieure beim Sichten von Code-Dokumentation unterstützen

Ein grosser Zeitfresser für Softwareingenieure sei es, den Code anderer Leute zu verstehen, sagte Argenti. Wenn ein Unternehmen Tausende Ingenieure hat, sei es von grösster Wichtigkeit, das zu nutzen, was bereits vorhanden sei. Aber dazu müsse man verstehen, was bereits vorhanden ist. In den meisten Unternehmen führten die Ingenieure Buch über den Code, die Systeme und die Architektur, an denen sie arbeiteten, aber die «Dokumentation ist nie wirklich gut», erklärte Argenti.

Die Fähigkeit der KI, Informationen zusammenzufassen, könnte hier helfen. Goldman erwägt, wie man Ingenieure in die Lage versetzen könne, eine KI zu bitten, einen Teil des Codes zu erklären und eine Zusammenfassung in einfachem Englisch zu erhalten, so der Leiter der Informationsabteilung. Es sei eine einfache Aufgabe, aber in der Grössenordnung, in der Goldmans Ingenieur Organisation arbeite, etwa 12'000 Ingenieure, könne es einen grossen Unterschied machen, sagte er.

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KI kann nicht-technische Mitarbeiter dazu bringen, mehr mit Software zu arbeiten

Wall Street-Firmen versuchen seit Langem, die Vorteile der Low-Code- und No-Code-Automatisierung zu nutzen. Dabei handelt es sich um Entwicklungsumgebungen für Software, die die Entwicklung mit visuellen Applikationsdesign-Werkzeugen und anderen grafischen Modellierungsverfahren ermöglichen. Dadurch können nicht-technische Mitarbeitende Prozesse durch Grafiken oder Symbole auf einem Computerbildschirm automatisieren, anstatt sie traditionell zu programmieren. Das ist vergleichbar mit dem Einbetten eines Tweets durch Anklicken der Optionsschaltflächen auf Twitter, anstatt eine Codezeile zu schreiben.

Argenti argumentierte jedoch, dass diese Art von Anwendungsfällen bisher nur teilweise realisiert worden sei und dass grosse Sprachmodelle eine attraktive Alternative darstellen könnten. «Seit Ewigkeiten träumen wir von Citizen Development, Low-Code, No-Code und so weiter, nicht wahr? Es gibt Leute, die intelligent sind, aber keine Programmierer», sagte Argenti. «Wenn wir über Automatisierung sprechen, gibt es eine Menge gescheiterter Versuche», fügte er hinzu.

«Das liegt daran, dass viele Automatisierungsanwendungen auf einem sogenannten imperativen Programmieransatz beruhen, bei dem einem System Schritt für Schritt mitgeteilt wird, wie etwas zu tun ist», so Argenti. Ein Beispiel hierfür ist die robotergestützte Prozessautomatisierung, also Software, die bestimmte Aufgaben automatisch wiederholt. Dieser Ansatz lasse sich nicht gut skalieren, erklärte Argenti. Denn wenn die Person, die den automatisierten Arbeitsablauf erstellt hat, das Unternehmen verlasse, «stellt man fest, dass niemand anderes diese Dinge wirklich herausfinden kann, weil diese Leute am Ende des Tages keine Entwickler sind», fügte er hinzu.

Grosse Sprachmodelle ermöglichen es jedoch auch nicht-technischen Mitarbeitern, einen deklarativen Ansatz für die Programmierung zu wählen, der dem System mitteilt, was der Benutzer will, und nicht, wie er etwas tun will. Geschäftsleute und Analysten könnten eine Frage in einfachem Englisch schreiben, so wie sie einen Kollegen fragen würden: Bitte tun Sie dies! Achten Sie darauf, und formatieren Sie es so! Ausserdem ist es für nicht-technische Mitarbeiter einfacher, nachträglich Änderungen vorzunehmen, da die Informationen in einer für sie verständlichen Form dargestellt werden, im Gegensatz zu den Codezeilen.