Auch die Schweiz funktioniert leider immer mehr nach dem gleichen Muster: Man identifiziert ein «Problem», das angeblich dringend «gelöst» werden muss. Dann folgt die «Lösung», die dann in aller Regel weitere «Probleme» mit sich bringt – die man dann wiederum «lösen» muss. 

Das war bei den «Gerechtigkeitslücken» bei der Altersvorsorge so, die wegen der Erhöhung des Frauenrentenalters geschlossen werden mussten, und bei den Bundessubventionen für die Kinderkrippen, bei denen man glauben musste, das Schicksal des Landes stehe auf dem Spiel, wenn man einigen Politikern und Politikerinnen zuhörte. Und das ist auch jetzt wieder so bei der Teilzeitarbeit von Akademikerinnen und Akademikern, die angeblich den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet und gegen die deshalb dringend etwas unternommen werden muss.

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Alle brauchen akademische Bildung

Es sei nicht gerecht, wenn die Kassiererin oder der Bauarbeiter mit ihrem schmalen Lohn Bildungseinrichtungen für Akademikerinnen und Akademiker mitfinanzieren müssten, heisst es. Dagegen liesse sich einwenden, dass wir ja genau deshalb ein progressives Steuersystem haben; damit die kleinen Leute weniger belastet werden als die Gutverdienenden. Zur Erinnerung: 5 Prozent der Steuerpflichtigen kommen für zwei Drittel der Bundessteuern auf, jede zweite Familie liefert gar keine Steuern nach Bern ab.

Oder man könnte einwenden, dass auch der Angestellte einer Reinigungsfirma oder die Malermeisterin ein Interesse daran haben müssen, dass junge, intellektuell überdurchschnittlich begabte Männer und Frauen an der Uni studieren, damit sie der Gesellschaft als Ärztinnen oder Mittelschullehrer zur Verfügung stehen, dass sie Unternehmen gründen oder dass sie an Universitäten forschen und damit den Wohlstand aller mehren. Auch wenn sie das nur drei oder vier Tage gegen Bezahlung tun und ihre freie Zeit dafür nutzen, um etwas mit ihren Kindern zu unternehmen oder ihre Kapazitäten in anderer Form als Lohnarbeit der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.

Auch zum Mindestbeschäftigungsgrad, wie ihn der Berner Bildungsökonom Stefan Wolter für Akademikerinnen und Akademiker als «Lösung» des «Problems» anpreist, liessen sich Fragen stellen. Etwa die nach den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Was bedeutet es für die Beschäftigung vor allem gut gebildeter Frauen, wenn kleine Pensen an Attraktivität verlieren? Verabschieden sich die jungen Mütter dann für ein paar Jahre wieder ganz in die Babypause? Mit dem Resultat, dass sie wie früher wieder mit vierzig Jahren mühsam den Wiedereinstieg ins Berufsleben finden müssen?

Je mehr Bildung, desto besser

Geradezu empörend aber ist das enge Verständnis von Bildung und ihrem Nutzen, das in diesem Vorschlag zum Ausdruck kommt. Bildung muss sich finanziell rechnen, einen Return on Investment bringen, damit sie gerechtfertigt ist. Ich aber meine: Bildung ist ein gesellschaftlicher Wert an sich: Je mehr es davon gibt, desto besser; desto mündiger sind die Bürgerinnen und Bürger. Und desto eher erkennen sie hoffentlich die Gefahr, die hinter solchen Vorschlägen steckt.

Die Diskussion über Kosten und Nutzen akademischer Bildung läuft zwar unter dem Titel des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Sie bewirkt aber das Gegenteil. Nach den Armen und den Reichen und den Jungen und den Alten kommt nun auch noch das Duo der «Studierten» und der «Nichtstudierten» dazu, das sich politisch bewirtschaften lässt.

Es sind weder das höhere Rentenalter noch die paar Dutzend Franken mehr oder weniger für die AHV oder die Zurückhaltung bei staatlichen Subventionen für Kinderkrippen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Es sind die ständigen Diskussionen darüber, wer profitiert und verliert, welche Gesellschaften auseinanderdriften lassen. Und es ist eine Politik, die den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr zutraut, dass sie auch mal etwas mittragen, von dem sie selbst keinen direkten finanziellen Nutzen haben. Zum Beispiel Universitäten. Einfach weil es gut ist, dass es Orte gibt, an denen mehr oder weniger frei geforscht, gelernt und gelehrt wird. 

Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck – als Grüner steht er nicht gerade unter dem Verdacht, ein Staatsabbauer zu sein – hat im Zusammenhang mit den Energiepreisen einmal gesagt, dass er nicht in einem Land leben möchte, in dem die Menschen nur noch auf finanzielle Anreize reagieren.

Dem ist nichts mehr beizufügen.