Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff schiesst in einem Kommentar gegen die Menschenrechtspolitik von China und Katar. «Wenn man nun die jüngere Geschichte betrachtet, zeigt China mehr und mehr wieder seine hässliche Fratze», heisst es im Schreiben, das am Mittwochnachmittag verschickt wurde. Über dreissig Jahre nach dem «Massaker» auf dem Platz des himmlischen Friedens (Tiananmen) und der Niederschlagung eines Volksaufstandes sei China in Bezug auf Menschenrechte und Freiheit seiner Bürger «kaum» weitergekommen.

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«Im Gegenteil», schreibt Neff. «Die Uiguren, diese komplett unterdrückte ethnische Minderheit ruft seit Jahren vergebens SOS und in Hongkong wird jeder erdenkliche Protest im Keim erstickt. Daneben geht die Zwangsumsiedlung von Volksmassen ungeniert weiter. Und dazu kommt ein aussenpolitisches Säbelrasseln, das mehr als beunruhigend ist.»

Das vorläufig letzte Kapitel, so schreibt Neff, bilde das Verschwinden von Peng Shuai, der einstigen Weltranglisten-Ersten im Tennis-Doppel. Sie erhob Vergewaltigungsvorwürfe gegen einen ranghohen Politiker. «Chinas Führung wollte den Vergewaltigungsvorwurf mal so eben unter den Teppich kehren, doch die ganze Welt suchte inzwischen Peng Shuai», so Neff. «Das erstmals richtig intensiv, obwohl in China fast täglich Menschen verschwinden, wenn sie dem Regime nicht (mehr) genehm sind.»

Profit vor Moral

Die Wortmeldungen von Shuai in den letzten Tagen bezeichnet er sodann als «zum Himmel stinkenden Dilettantismus» des Regimes. «Staatspropaganda vom Feinsten».

«Will man in diesem Land wirklich die Olympischen Spiele sehen?», fragt Neff weiter. «Wer weiss schon, ob die chinesische Staatsführung vor lauter Oberwasser am Ende nicht gleich noch in Taiwan einmarschieren lässt.»

Neff gibt die Antwort gleich selber. «Olympia wird stattfinden», schreibt er – wie auch Anleger weiter auf China setzen würden. Profit gehe moralischen Bedenken vor. «Wir werden kommenden Winter schliesslich auch Fussballweltmeisterschaften am Golf abhalten.»

«Es geht um den schnöden Mammon»

Und das ist der Auftakt zur nächsten verbalen Ohrfeige des Chefökonomen. Im Visier: Katar. Der Wüstenstaat sei «ohne eigenes Zutun, nur dank Öl reich geworden». Die Menschenrechte würden mit Füssen getreten, mit Staatsgeld würden Fussballklubs und Luxushotels und andere Immobilien aufgekauft, Banken beherrscht und Influencer bei Laune gehalten.

«Auch in Katar verschwinden Menschen, nur sind es dort Billiglohnempfänger und keine Prominente, weshalb das unter dem Radar segelt. Und wehe man ist schwul oder lesbisch, dann droht sogleich Gefängnis», so Neff – und legt gleich noch ein Bricket drauf: «Was dem FC Bayern München oder PSG, dem französischen Serienmeister im Fussball, recht ist, muss dem Rest der Welt aber noch lange nicht billig sein, auch maroden Schweizer Luxusherbergen nicht. Denn diese Geschichte hat genauso wenig eine Moral, wie die Lobhudelei auf China

«Es geht hier einzig und allein um den schnöden Mammon», so das Fazit der Raiffeisen-Kaders. «Der Westen ist käuflicher geworden denn je und damit wird er umso erpressbarer. So werden wir weder nach China oder Katar, geschweige denn Weissrussland oder Russland unser wichtigstes Gut exportieren können, namentlich Menschenrechte. Im Gegenteil, deren Geld unterwandert uns und unsere Werte, bis der Katarrh chronisch wird.»

Das China-Fettnäpfchen

Neff macht damit seinem Namen als Exot alle Ehre. Normalerweise sind Chefökonomen grösserer Banken glatt, passen sich an, geben sich weltmännisch, reden am liebsten Englisch und suchen die Nähe zu Geld und Macht. Neff ist der Aussenseiter in dieser Gruppe, hochintelligent, aber mit einem anderen Habitus. Immer geradeheraus, nicht um klare Worte verlegen.

Der Kommentar kommt ausserdem nur wenige Tage, nachdem die US-Bank JP Morgan sich zu einer öffentlichen Entschuldigung genötigt sah. Ihr CEO Jamie Dimon hatte vorher eine flapsige Bemerkung zur kommunistischen Partei gemacht. Er hatte in einem Interview am Boston College die Bemerkung fallen gelassen, dass die kommunistische Partei ihr hundertjähriges Bestehen feiere, genau wie JP Morgan. «Ich würde eine Wette abschliessen, dass wir länger bestehen werden», hatte er hinzugefügt. In China könne er dies nicht sagen. «Wahrscheinlich hören sie sowieso zu.» China reagierte sofort. JP Morgen hatte keine Wahl, als sich zu entschuldigen. «Ich hätte diese Kommentare nicht machen sollen», sagte Dimon.

Die Raiffeisen dürfte nach dem Kommentar sicherlich auch eine Reaktion von offizieller Seite erhalten. Aber die Bank kann es sich leisten: Anders als JP Morgan ist die Genossenschaft eine Inlandsbank, verdient vor allem im Schweizer Immobilienmarkt gutes Geld. Die Gefühle der chinesischen Regierung in Peking oder der Stolz der Araber ist für die Bank betriebswirtschaftlich nicht relevant.