Der erste Abschuss einer russischen Hyperschallrakete vom Typ Kinschal durch eine US-Patriot-Rakete im Ukraine-Krieg ist nach Expertenansicht zwar ein grosser Erfolg. Doch dies sei kein Beleg dafür, dass die Nato in der Lage ist, auch Hyperschallwaffen einer anderen Technikgeneration aus Russland oder China abzufangen.

Hier gebe es eine Fähigkeitslücke der Nato, sagte jetzt Dirk Zimper, Leiter Zukunftssysteme der Deutschlandtochter des führenden Lenkwaffenkonzerns MBDA. «Selbst die Amis sind an der Stelle blank», so der Experte.

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Zimper verweist darauf, dass die jüngst abgeschossene Hyperschallrakete Kinschal eine Weiterentwicklung eines zuvor vom Boden abgefeuerten Modells (Iskander-9K720) ist. Die Kinschal-Modelle, die im Angriffskrieg Russlands in der Ukraine von russischen Kampfjets vom Typ MIG-31K abgefeuert werden, hätten jedoch eine Schwäche: Sie bewegen sich auf einer ballistischen Flugbahn.

Damit lasse sich ihre Flugkurve grob vorhersagen. Nach der Inbetriebnahme von leistungsfähigen Patriot-Abwehrsystemen in der Ukraine sei der erzielte erste Treffer zwar ein super Ergebnis, aber «nicht überraschend», sagt Zimper. Es zeige, dass Kinschal eben doch eine Rakete sei, die abgefangen und zerstört werden kann.

China besitzt hyperschall-schnelle Gleitvehikel

Ein anderes Szenario ergebe sich jedoch bei sogenannten hyperschall-schnellen Gleitvehikeln, deren Flughöhe sich im Anflug mehrfach nach oben oder unten ändern kann. «Ich denke, China hat diese Gleiter operativ und Russland ist nicht weit davon entfernt, sie operativ zu haben», spekuliert der 38-jährige MBDA-Experte.

Russlands Präsident Putin hat bereits 2018 dieses Vehikel mit dem Namen Avangard ebenso wie das jetzt abgeschossene Kinschal-Modell bei der Vorstellung mehrerer angeblicher Wunderwaffen präsentiert. Die Hyperschall-Gleitvehikel wurden bisher aber noch nicht in einem Krieg eingesetzt.

Sie sind mit etwa zehnfacher Schallgeschwindigkeit extrem schnell. Somit bleibt bei einem Angriff dieser Vehikel kaum Reaktionszeit. Hyperschall bezeichnet eine mehr als fünffache Schallgeschwindigkeit je nach Flughöhe.

Vor dem Hintergrund der Hyperschall-Bedrohung schrillen bei der EU die Alarmglocken und die Suche nach einem Abwehrkonzept samt Abwehrrakete hat begonnen. Doch wie bei vielen europäischen Rüstungsprojekten gibt es keine Einigkeit. In zwei konkurrierenden EU-Projekten – Hydis mit MBDA in der Führung sowie Hydef mit der spanischen Technologiegruppe Sener an der Spitze – soll das beste Konzept ermittelt werden.

MBDA Deutschland schlägt in dieser Diskussion vor, in die europäische Hyperschall-Abfangwaffe eine einzigartige Antriebstechnik einzubauen, ein Staustrahltriebwerk (RamJet). Damit hat MBDA grosse Erfahrung.

Künstliche Intelligenz soll helfen, den Kurs der angreifenden Rakete in etwa vorherzusagen.

MBDA hofft auf grosses Geschäft

Das Abfangvehikel könnte so über mehr als dreifache Schallgeschwindigkeit verfügen, bei über hundert Kilometer Reichweite. Es gehe darum, möglichst schnell das Ziel zu erreichen, sagt Experte Zimper, damit noch genügend Zeit für einen zweiten Schuss bleibe – wenn der erste nicht trifft.

Durch Sensoren und Aufklärung in der Luft oder dem Weltraum könnten anfliegende Gleitvehikel schneller erkannt werden. Künstliche Intelligenz soll helfen, den Kurs der angreifenden Rakete in etwa vorherzusagen.

Die Hyperschall-Abfangrakete ist nur ein Projekt, von dem sich MBDA Deutschland vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und mehr Investitionen in die Bundeswehr neues Geschäft erhofft. Die Produktionskapazitäten sollen ausgebaut und etwa 200 Stellen neu geschaffen werden, wurde bei einer Presseveranstaltung mitgeteilt.

Die Palette der Erweiterungen reicht vom bereits angekündigten Aufbau einer Produktion für Patriot-Raketen in Zusammenarbeit mit dem US-Rüstungskonzern Raytheon am Hauptstandort im bayerischen Schrobenhausen, Lenkwaffen (Brimstone) für den von Deutschland bestellten US-Kampfjet F-35, bis zur Serienfertigung einer neuen, modernen Lenkwaffe (Enforcer), für die Bundeswehr.

Sie kann von der Schulter abgefeuert werden, fliegt bis zu zwei Kilometer weit und soll mittelfristig auch in einer Version zur Zerstörung von Panzern auf den Markt kommen

Sogar die Wiederaufnahme der Produktion der in den 1980er-Jahren entwickelten Panzerrichtmine (PARM) DM22 ist vorgesehen. Davon wurden große Bestände der Bundeswehr an die Ukraine geliefert. Vereinfacht ausgedrückt ist es eine Panzerfaust auf einem kleinen Gestell, das am Rand von Wegen und Strassen aufgestellt und durch einen Lichtwellenleiter ausgelöst wird.

Nationales Sprengstoffwerk?

MBDA-Geschäftsführer Guido Brendler wünscht sich insgesamt mehr Planbarkeit für die Investitionen, wenn vom Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius der Wunsch geäußert wird, schnellstmöglich die Kapazitäten maximal hochzufahren. Notwendig sei auch eine sichere und ausreichende Versorgung mit Sprengstoff.

Um von Importen unabhängiger zu werden, schlägt die MBDA-Tochter TDW den Bau eines nationalen Sprengstoffwerks mit Staatshilfe vor. Hierüber gebe es Gespräche in Berlin. Ungarn ist in diesem Punkt schon weiter: Gemeinsam mit Rheinmetall wird dort ein Werk für die Produktion moderner Sprengstoffe errichtet, das bis 2027 die Produktion aufnehmen soll.