Sind Frauen die besseren Führungskräfte? Oder ist Führung gleichsam eine «natürliche» Männerbastion? Diese Fragen sind brisant vor dem Hintergrund der vielfältigen Initiativen, Frauen in der Wirtschaft zu fördern. Dazu sieben Ernüchterungen.

Erstens: Menschen sind in ihrer Funktion als Führungskräfte im Unternehmen zunächst «Individuen». Das ist das primäre Kriterium. Als Individuen sind sie per definitionem ungleich.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Zweitens: Wenn man nicht mehr Individuen unterscheidet, sondern zwischen Mann und Frau, führt man ein sekundäres Kriterium ein. Die Ungleichheit wird dann zu einer Gruppengleichheit verengt. Wir sehen dann nicht mehr Einzelne in ihrer Besonderheit, sondern Gruppenwesen in ihrer angeborenen Allgemeinheit.

Drittens: Wer die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zum erstrangigen Selektionskriterium für Führung machen will, muss das rechtfertigen. Dadurch kommt eine weitere Leitunterscheidung ins Spiel: Quantität/Qualität. Bei der Quantität geht es ums Frauenzählen. Man zielt auf Gleichstellung, zumindest auf verstärkte Repräsentation. Die Quantität aber hat in einer wettbewerbsbasierten freien Wirtschaft nichts zu suchen. Man muss also qualitative Gründe haben, will man Frauen in Führungspositionen bevorzugen und sich nicht dem Vorwurf aussetzen, reaktionäres Denken aus mittelalterlichem Ständewesen zu verstetigen.

Über den Autor

Reinhard Sprenger ist Führungsexperte und Bestsellerautor.

Viertens: Bei der Qualität von Führungsleistung kommt die Wissenschaft ins Spiel. Sie basiert nahezu alternativlos auf dem eigenschaftstheoretischen Paradigma, das im Wesentlichen von Sigmund Freud formuliert wurde. Diese Forschung denkt von der Führungskraft her. Sie versucht, Geschlechtsstereotype von Frauen und Männern zu isolieren.

Nennen wir Beispiele. Manche Forschungen bescheinigen Frauen im Vergleich zu Männern eine grössere Empathiebegabung. Aber selbst wenn die Forschungen wirklichkeitsnah wären: Ist Empathie grundsätzlich für Führung «gut»? Wird dadurch Führungserfolg wahrscheinlicher? Nein, denn wie alle Eigenschaften ist auch Empathie ambivalent. Empathie kann Konflikte vermeiden. Sie kann aber auch lähmen – wer zu einfühlsam ist, handelt nicht. Grundsätzlich gilt: Es gibt keine Stärke, die nicht gleichzeitig eine Schwäche wäre. Und umgekehrt. Ob es eher das eine oder das andere ist, hängt ab von der Situation.

Man will auch nachgewiesen haben, dass Frauen «wettbewerbsavers» seien. Wenn es so ist, dann liegt es auf der Hand, dass das weder gut noch schlecht ist. Für Zusammenarbeit kann es Vorteile haben. Für die Dynamik auf den Märkten kann es nachteilig sein.

Letztlich: Aus wissenschaftssynoptischer Sicht besteht kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen der Führung und dem wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen. Es ist irrelevant, ob der Geschäftsführer charismatisch, bescheiden, visionär, technokratisch, selbstsicher, zurückhaltend, vorbildlich oder authentisch ist. Oder ein Mann oder eine Frau.

Unser Podcast zum Thema

Alle weiteren Folgen von «Handelszeitung Insights» finden Sie hier.

Aus der eigenschaftstheoretischen Perspektive können wir also keine generelle Bevorzugung von Frauen gegenüber Männern ableiten. Aber ebenso wenig eine generelle Bevorzugung von Männern gegenüber Frauen.

Fünftens: Wenn wir uns von dem freudianischen Narrativ befreien wollen, müssen wir zur systemischen Perspektive wechseln. Die systemische Sicht spekuliert nicht über intrapsychische Dispositionen oder personenbezogene Eigenschaften. Sie schaut unvoreingenommen auf Wechselwirksamkeiten. Sie schaut auf die Resonanzen, die zwischen Menschen beobachtbar sind.

Beispiele dafür aus dem historischen Fundus: Führungskräfte wie Johanna von Orléans, Rosa Luxemburg, Nelson Mandela, Charles de Gaulle, Martin Luther King, Gandhi, John F. Kennedy oder Granit Xhaka. Was verbindet sie, wenn wir alles Unterschiedliche beiseitelassen?

Darauf gibt es nur eine Antwort: Führende haben Folgende. Führende finden Menschen, die ihnen folgen. Freiwillig folgen. Führende erzeugen Sog, nicht Druck. Weil sie etwas zur Lebensqualität der ihnen Folgenden beitragen – was immer das sei: Überleben, Arbeit, Orientierung, Ziel, Sinn, Materielles, Spirituelles. Letztlich geht es um Vertrauen. Vertrauen ist die Basis von Führung. Wenn einer Führungskraft nicht vertraut wird, hat sie keine Existenzberechtigung. Anders formuliert: Wer führt, ohne dass ihm Menschen folgen, geht nur spazieren.

Führungserfolg ist demnach nicht von der Führungskraft aus zu denken, sondern von den Geführten. Es sind die Geführten, die einen Menschen zur Führungskraft machen. Das rechtfertigt aber weder die Bevorzugung eines Menschen aufgrund des Geschlechts noch dessen Benachteiligung.

Sechstens: die tragische, weil unerkannte Paradoxie des Themas. Denn was schwächt die Möglichkeit, dass einer Frau Führungspotenzial in gleicher Weise zuerkannt wird wie einem Mann? Eben: die Dominanz der eigenschaftstheoretischen Perspektive!

Zum Beispiel die Dauerbetonung weiblicher Stärke und Vorzüge. Bei Frauen hält man es offenbar für nötig, ihre Stärke zu betonen. Traut man den Fähigkeiten der Frauen etwa nicht? Bei Männern, die Spitzenpositionen in Wirtschaft, Kultur und Politik einnehmen, betont niemand ihre Stärke.

Oder: das Frauenbild der Frauenförderungspolitik. Frauen würden daran gehindert, Führungspositionen zu übernehmen. Entweder individuell bewusst von Männern oder strukturell unbewusst durch Institutionen. Stichwort: Glasdecke. Da ist die Frau das Opfer, die Behinderte, Diskriminierte, die sich nicht selbst zu helfen weiss. Weshalb man sie dauernd «ermutigen» muss, Karriere zu machen. Oder ihr «geholfen» werden muss durch Quoten, Lohnpolizei und Arroganztrainings. Das muss man wohl als Angriff auf die Würde von Frauen werten. Sollten sie aber tatsächlich so schwach sein, wie die Frauenförderer behaupten, hätten sie in der Führung nichts verloren.

Siebtens: Merkmalbasierte Identitäten bedeuten Krieg. Egal, ob das Identitäten als Frau oder Mann, Christ oder Jude, Russe oder Ukrainer sind. Die einzige Möglichkeit, diese Antinomien aufzulösen, besteht darin, auf einem Universalismus gleicher Individuen zu beharren. Nicht auf einer merkmalbasierten Identität. Und für die einleitende Führungsfrage gilt, was der Fussballer schon immer wusste: Die Wahrheit ist auf dem Platz.