Anfang Dezember hat der französische Präsident Macron im Handelskonflikt mit China den Ton verschärft. Er erklärte, dass der Handelsüberschuss Chinas mit Europa nicht mehr tragbar sei. Dabei drohte er mit Zöllen auf chinesische Importe. Diese Drohung steht unmittelbar im Zusammenhang mit der Befürchtung, dass Europa auf dem Weg sei, Opfer eines zweiten «China-Schocks» zu werden.

Zur Erinnerung: Im Gefolge des WTO-Beitritts Chinas im Jahr 2001 erlebten die USA einen massiven Importboom aus China. Führende Ökonomen interpretierten diese Entwicklung positiv und sahen darin einen Segen der fortschreitenden Globalisierung. Andere warnten hingegen vor einer drohenden Deindustrialisierung der USA. China exportierte vor allem einfache Konsumgüter wie Möbel und Textilien sowie Produkte der Elektroindustrie.

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Der Gastautor

Boris Zürcher war bis Ende 2024 Direktor für Arbeit beim Seco und ist regelmässig Gastautor der Handelszeitung.

Die Warner sollten Recht behalten. Über einen kurzen Zeitraum gingen weit über eine Million Industriearbeitsplätze im Rostgürtel der USA verloren, und das Handelsbilanzdefizit der USA verschlechterte sich rasant – der erste «China-Schock». Da China seine Exporterlöse hauptsächlich in den USA reinvestierte, kam es zu einem massiven Kapitalzustrom, der wesentlich zur Entstehung der Finanzkrise im Jahr 2008 beitrug. Schliesslich bildeten die Deindustrialisierung und die Finanzkrise einen fruchtbaren Nährboden für den Aufstieg der Maga-Bewegung in der US-Politik. Ein Rückblick auf den damaligen chinesischen Importschock hilft, vieles in der aktuellen US-Politik zu verstehen, nicht zuletzt Präsident Trumps Besessenheit hinsichtlich des US-Handelsbilanzdefizits.

Europa blieb von diesem ersten «China-Schock» hingegen verschont und profitierte teilweise sogar davon. Deutschland etwa florierte, konnte Maschinen, Anlagen und Luxusfahrzeuge für Chinas Industrie und eine zunehmend prosperierende Oberschicht liefern und avancierte so – begünstigt durch eine allgemeine Lohnzurückhaltung – zeitweilig zum Exportweltmeister.

Heute dagegen befindet sich Europa, speziell Deutschland, zwischen den Fronten. Auf der einen Seite stehen die USA, die europäische Exporte mit Zöllen belegen und gegenüber China eine Derisking-Strategie verfolgen, welche eine weitgehende Reduzierung der Abhängigkeit von chinesischen Importen zum Ziel hat. Auf der anderen Seite steht China, das nach schwierigen Jahren mit der Corona-Pandemie und einer geplatzten Immobilienblase seine Industriekapazitäten massiv ausgebaut hat. Die Ungleichgewichte innerhalb der chinesischen Wirtschaft halten an: Die Konsumquote liegt bei etwa 40 Prozent, und die inländische Nachfrage ist im Vergleich zu den Produktionskapazitäten chronisch tief. Das Wachstumsmodell Chinas setzt daher zwangsläufig auf hohe Exporte beziehungsweise auf die ausländische Nachfrage. Gemäss jüngsten Zahlen wird sich der chinesische Handelsbilanzüberschuss für das Jahr 2025 auf gut 1 Billion Dollar belaufen, was mehr als 5 Prozent des chinesischen BIP ausmacht. In China herrscht deflationärer Druck, und die Nachfrage nach ausländischen Gütern bleibt schwach. Hinzu kommt, dass China seine Produktion auf höherwertige Güter diversifiziert hat und nun mit Europas Industrie in deren Kernmärkten bei Batterietechnologien, Elektrofahrzeugen, Windturbinen, Solaranlagen und weiteren Schlüsseltechnologien konkurriert.

Es würde einer gewissen Ironie nicht entbehren, wenn Europa China gegenüber zu ähnlichen Massnahmen greifen würde wie die USA unter Präsident Trump. Alternativen dazu sind rar. Sicher ist nur, dass ein Erdulden der chinesischen Exportflut nach Europa – ein zweiter «China-Schock» – einen massiven Strukturwandel in Europas Kernindustrien und die Deindustrialisierung vorantreiben wird. Das wird auch die Schweiz nicht kaltlassen.