Früher wäre es undenkbar gewesen. Doch die drastische Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung hat ihn weichgekocht. Jetzt plant der Schanghaier Gastronom Harry Hu dasselbe wie Tausende wohlhabender Menschen in der ganzen Volksrepublik: Raus aus China, und das mit dem Vermögen.

Hu ist einer von rund 10'000 reichen Chinesen, die nach Schätzungen des Beratungsunternehmens Henley & Partners das Reich der Mitte dieses Jahr verlassen wollen - mitsamt der 48 Milliarden Dollar, über die sie verfügen. Nur aus Russland wollen Menschen mit noch mehr Geld weg.

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Die grosse Frage ist, ob die Regierung von Präsident Xi Jinping sie lässt.

Angespanntes Verhältnis der Reichen zur Kommunistischen Partei

Explizite Änderungen für einen Wegzug gibt es zwar nicht, aber Anwälte für Einwanderungsrecht sagen, vieles sei in den letzten Monaten schwieriger geworden: Bearbeitungszeiten für Pässe haben sich verlängert, die Anforderungen an die Dokumente sind strenger geworden. Der Transfer hoher Geldsummen aus China heraus ist ebenfalls schwieriger geworden, da sich ausländische Korrespondenzbanken zurückgezogen haben, die lange dabei geholfen hatten, Kapitalkontrollen durch Swap-Vereinbarungen zu umgehen.

Das Verhältnis zwischen wohlhabenden Chinesen und der Kommunistischen Partei dürfte sich dadurch kaum entspannen. Das kriselt bereits seit Xi seine populistische Kampagne für «gemeinsamen Wohlstand» lancierte. Die Regierung legt im Vorfeld des 20. Parteitags der KP Ende des Jahres, bei dem Xi eine beispiellose dritte Amtszeit anstrebt, Wert auf Stabilität. Der wirtschaftliche Tribut, den die strikte Coronapolitik fordert, dürfte auch vom Exodus Reicher und Gebildeter aus China abhängen.

Erkundigungen zur Vermögensverlagerung ins Ausland explodieren

Trotz der Hürden, die ihm in den Weg gelegt werden, will Hu unbedingt weg - nach Kanada.

«Können Sie sich vorstellen, dass ich zu Beginn des Lockdowns in der am weitesten entwickelten Stadt Chinas fast verhungert wäre?», sagt der 46-Jährige, der vor kurzem einen Grossteil seiner Mehrheitsbeteiligung an zwei Spitzenrestaurants in Schanghai für 20 Millionen Yuan (2,9 Millionen Franken) verkauft und für die Auswanderung einen Anwalt und einen Vermögensverwalter angeheuert hat. «Ich bin sehr traurig, aber es ist Zeit zu gehen.»

Das Geschäft der Experten für diese Themen boomt. Als Schanghai im Frühjahr in Lockdown ging nahmen die Anfragen um das Drei- bis Fünffache zu. Auch Erkundigungen zur Vermögensverlagerung ins Ausland legten exponentiell zu, berichten Banker, die nicht namentlich genannt werden wollten.

Auch Computerspiele-Milliardär Huang Yimeng will weg

«Viele hatten wirklich das Gefühl, dass sie angesichts der Covid-Massnahmen keine andere Wahl hatten», sagt Sumi, eine Beraterin aus Schanghai, die ihren vollen Namen nicht nennen will. «Leute, die zuvor noch gezögert haben, haben sich nun tatsächlich entschlossen auszuwandern.»

Auch der Computerspiele-Milliardär Huang Yimeng, Vorstandschef von XD, hat seinen Mitarbeitern kürzlich mitgeteilt, dass er wegziehen will - offiziell aus familiären Gründen. Der prominente Abgang fachte die Debatte im Lande über Auswanderungen erneut an. Beliebte Ziele bei Auswanderern sind die USA, Singapur, Australien, Kanada und Europa.

Singapur wird zum Hotspot für reiche Chinesen

In Singapur hatte sich die Zahl der Family Offices Ende 2021 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, vor allem weil die Nachfrage von Familien chinesischer Unternehmer stark angezogen hat. Das deutet darauf hin, dass viele Ultrareiche bereits ausgewandert sind.

Die Beschaffung der für die Ausreise erforderlichen Papiere erweist sich derzeit jedoch als schwierig. Die Regierung rät seit Ende 2020 von Reisen ab, die nicht unbedingt notwendig sind und führt als Grund dafür Massnahmen zur Eindämmung von Covid an. Erst im Mai verschärfte die Einwanderungsbehörde die Genehmigungen von Ein- und Ausreisedokumenten. Berichte über abgelehnte Ersuchen nehmen zu.

Chinesen dürfen nur Yuan für 50'000 Dollar umtauschen

Auch der Transfer von Geld aus China wird schwieriger. Pro Jahr dürfen Chinesen offiziell nur Yuan im Wert von rund 50'000 Dollar in Fremdwährung umtauschen. In der Vergangenheit gab es jedoch Wege, diese Regelung zu umgehen. Einige davon sind nun versperrt.

Noch vor einem Jahr bestand die Möglichkeit, Geld aus China zu transferieren, unter anderem durch die Verwendung von Kryptowährungen oder über Swaps mit ausländischen Partnern, die Yuan nach China überweisen wollten. 

Doch Chinas Vorgehen gegen Kryptowährungen hat fast alle derartigen Aktivitäten verunmöglicht. Swapgeschäfte werden ebenfalls schwieriger, da immer weniger Menschen Geld nach China transferieren wollen.

Bewohner von Shanghai fürchten neue Lockdowns

Chinas jüngste Entscheidung, die Hotelquarantäne für Einreisende aus dem Ausland auf sieben Tage zu verkürzen, hat zwar die Hoffnung geweckt, dass das Land seine Null-Covid-Politik weiter lockern könnte, doch die Unannehmlichkeiten und Ungewissheiten, die mit dem Ansatz verbunden sind, sorgen weiterhin für Unruhe. Erst letzten Monat nannte Xi «Zero Covid» erneut die «wirtschaftlichste und effektivste» Strategie für China.

Viele Shanghaier befürchten, dass ihre Stadt oder einzelne Bezirke erneut abgeriegelt werden könnten, da die Covid-Infektionen andauern und Massentests angeordnet wurden.

Hu, der Gastronom, bleibt daher bei seiner Entscheidung.

«Ich habe in der Vergangenheit mehrmals darüber nachgedacht, China zu verlassen und es dann sein gelassen, aber diesmal bin ich fest entschlossen», sagt der Wirt. Die Unterlagen für seinen Antrag auf Visum und Passverlängerung hat er vor über einem Monat eingereicht. Eine Antwort hat er noch nicht.

(bloomberg/gku)