Die Europäische Union ist das Silicon Valley der Regulierung – dieser Scherz wird von vielen amerikanischen Tech-Unternehmen im Munde geführt. Sie belächeln Europas Rückstand bei vielen Schlüsseltechnologien und seinen Stolz darauf, dennoch bei der Regulierung dieser Technologien zu führen. Europas Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist das beste Beispiel dafür: Zwar gibt es auf diesem Kontinent keinen einzigen Social-Media- oder Big-Data-Konzern von Weltrang, trotzdem brüsten wir uns mit der vermeintlich besten Regulierung des Sektors.

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Hinterher bei der Technologie, aber führend bei der Regulierung: Selbst diesen kleinen Vorsprung droht Europa nun zu verlieren. Denn jetzt hat die amerikanische Regierung unter Joe Biden eine umfassende Regulierung der künstlichen Intelligenz erlassen, die Europas Gesetzgebung um Monate überholt. Damit gelingt es den USA, einen verbindlichen Rechtsrahmen zu schaffen, während Investoren in der Europäischen Union und auch in der Schweiz noch darauf warten müssen, rechtliche Sicherheit für ihre Entwicklungen zu erlangen.

Ein Dekret für schnelle Rechtssicherheit

Wie haben die Amerikaner das geschafft? Joe Biden hat den Weg einer «Executive Order» gewählt, also eines Dekrets, das keiner Zustimmung des Parlaments bedarf. Dieses Instrument steht ihm zu Gebote. Nahezu jeder Präsident hat es im Laufe seiner Amtszeit mehrfach benutzt. Das Dekret tritt sofort in Kraft, kann allerdings von einem Nachfolger – beispielsweise Donald Trump – mit einem Federstrich wieder abgeschafft werden. Deswegen arbeiten die Demokraten im Kongress parallel daran, ein Gesetz gleichen Inhaltes zu erlassen. Ein Gesetz lässt sich so einfach nicht mehr aus der Welt schaffen. Dafür braucht man wieder eine Parlamentsmehrheit. Mit dem Dekret erreicht das Weisse Haus beides auf einmal: Geschwindigkeit und Rechtssicherheit – zum Vorteil der boomenden neuen Industrie rund um künstliche Intelligenz. 

Die Executive Order gilt so lange, bis das Gesetz in Kraft tritt, und für die Verabschiedung des Gesetzes bleibt Zeit bis zur Wahl im nächsten November, also rund ein Jahr. Das könnte selbst im zerstrittenen Repräsentantenhaus und Senat bis dahin gelingen. Amerikanische Tech-Unternehmen von Microsoft über Apple, Palantir, Google bis hin zu Facebook loben die Initiative der Regierung. Sie selbst hatten Regulierung und Rechtssicherheit angemahnt. Am deutlichsten hatte sich Sam Altman dafür ausgesprochen, der Gründer und CEO von Open AI, Hersteller des mittlerweile berühmten Dienstes Chat GPT. Nun also hat Biden geliefert, auch durch persönlichen Einsatz. Viele Aspekte seiner Executive Order gehen auf seine Besuche und Gespräche im Silicon Valley zurück. Biden weiss, was diese neue Industrie benötigt: Rechtssicherheit im Geiste einer ermöglichenden Regulierung, nicht einer verbietenden. Und zugleich klare Vorschriften darüber, was erlaubt und was verboten ist.

Regieren per Dekret – das klingt nach einem Schnellschuss. Doch genau das ist die Executive Order nicht geworden. Sie ist kein eilig zusammengeschustertes Provisorium, sondern ein rundes, durchdachtes und umfassendes Regelwerk. In Brüssel hingegen stecken Kommission, Rat und Parlament noch in den Mühlen des Trilogs, also des Versuchs, ihre unterschiedlichen Vorstellungen von einer Regulierung der künstlichen Intelligenz auf einen Nenner zu bringen. Bis zum Jahresende wollen sie fertig sein. Doch ob das gelingt, steht dahin. Rechtssicherheit in den USA, Unklarheit in Europa – so sieht derzeit die Lage aus. 

Bidens Dekret zeichnet sich aus durch einen ausgesprochen pragmatischen Ansatz. Künstliche Intelligenz wird gutgeheissen und für willkommen erklärt. Es sind Regeln einzuhalten, die meistens sofort einleuchten. 

Diese Pflichten bekommen Anbieter von KI

Wer Algorithmen herstellt, die potenziell die nationale Sicherheit gefährden könnten, muss diese bei einer Behörde anmelden. Wer gefährliche Gensequenzen herstellt, aus denen gefährliche biologische Wirkstoffe werden könnten, unterliegt speziellen Sicherheitsvorschriften. Diskriminierung aller Art ist verboten. Entscheidungen, die Einfluss auf den Verlauf menschlicher Leben nehmen können, unterliegen Transparenzvorschriften und Handlungsregelungen. Zum Beispiel müssen Algorithmen mit Bedacht eingesetzt werden, wenn sie Prognosen über die Straffälligkeit von Menschen abgeben. Eine falsche Prognose – und jemand landet unnötig oder unnötig lang hinter Gittern. Die KI-Software selbst muss abgesichert werden gegen Angriffe von Hackern und Hackerinnen, denn alle Regulierung hilft wenig, wenn ein Algorithmus unbemerkt von innen ausgehöhlt werden kann. 

Bemerkenswert ist auch, dass Biden mit seinem Dekret durch die Hintertür sogar ein modernes Datenschutzrecht einführt. Ein Kapitel des Dekrets handelt nur davon. Erstmals bekommen die USA auf Bundesebene nun wirksamen Datenschutz.

Pragmatisch, schnell und umfassend – so gehen die Vereinigten Staaten die Regulierung der neuen KI-Industrie an. Damit verschaffen sie sich einen weiteren Wettbewerbsvorteil. Europas Staaten sollten einen ähnlichen Weg bestreiten. Sie müssen sich anstrengen, bei der neuen Schlüsseltechnologie nicht noch weiter zurückzufallen.

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