ABB befindet sich in einer Zwischenphase. Mit der Ankündigung des umstrittenen Verkaufs der Stromnetzsparte wurde im vergangenen Dezember nichts weniger als ein neues Zeitalter für das Unternehmen angekündigt. Es sieht sein Heil nun in der Digitalisierung.

Bis die Neuausrichtung Früchte trägt, braucht es aber noch Geduld. Denn der Verkauf der Stromnetzsparte, die interne Reorganisation und das schwierige Marktumfeld werden den Konzern noch eine Weile auf Trab halten. Immerhin hat das Unternehmen angesichts der zahlreichen Baustellen solide Zahlen für das dritte Quartal vorgelegt und der Aktienkurs hat sich jüngst etwas erholt.

Umbauprogramm wegen Verkaufs der Stromnetzsparte

Erschwerend beim Umbau von ABB kommt hinzu, dass der neue CEO Björn Rosengren seine Tätigkeit erst im kommenden Frühjahr aufnimmt. Peter Voser, VR-Präsident und derzeit noch interimistischer Chef, hatte bei der Ernennung von Rosengren zwar betont, dass dieser die eingeschlagene Strategie mittragen werde, dennoch wird Rosengren auch eigene Ideen in den Konzern einbringen wollen.

Mit dem von einem Teil der Aktionäre schon länger geforderten Verkauf der Stromnetzsparte hatte sich ABB im vergangenen Dezember gleichzeitig ein weiteres Umbauprogramm aufgehalst. Nicht nur die aufwendige Loslösung des Stromnetzgeschäfts aus der Struktur von ABB, welche den Abschluss der Transaktion mit Hitachi erst Mitte des kommenden Jahres ermöglicht, beschäftigt ABB. Der Neustart umfasst insgesamt drei fundamentale Schritte.

Einerseits wird das Geschäftsmodell durch die Auflösung der bisherigen Matrixstruktur vereinfacht. So sollen die einzelnen Divisionen mehr Autonomie erhalten und näher an den Kunden sein sowie der rückwärtige Bereich am Konzernsitz in Oerlikon verkleinert werden. Andererseits stellte ABB die Divisionen einmal mehr um: Seit dem laufenden Geschäftsjahr wird in den Divisionen Elektrifizierung, Industrieautomation, Antriebe sowie Robotik & Fertigungsautomation berichtet.

Fokus auf die digitale Industrialisierung

Der dritte und wohl wichtigste Punkt ist die strategische Neuausrichtung. Mit dem Verkauf der Stromnetzsparte soll der Fokus künftig hauptsächlich auf die digitale Industrialisierung gelegt werden. Der damalige CEO Ulrich Spiesshofer proklamierte im Dezember euphorisch «ein neues Kapitel in der Geschichte von ABB». Für das Unternehmen beginnt in der wechselvollen über 130-jährigen Geschichte somit also eine neue Ära.

Nun läuft die Digitalisierung auch in der Industrie nicht erst seit gestern, sie vollzieht sich vielmehr in einem permanenten Prozess. ABB hat aber beim angestrebten Wandel vom Investitionsgüter-Hersteller zu einem High-Tech-Unternehmen die Digitalisierung explizit als Schlüssel hervorgehoben. Praktisch in jeder Medienmitteilung wird seither auf die Kompetenzen bei der Digitalisierung der Prozesse verwiesen, welche unter dem Label «ABB Ability» zusammengefasst sind. Diese digitale Plattform findet spartenübergreifend in allen vier Divisionen Anwendung und verfügt seit kurzem über eine eigene Internetseite.

Über die Digitalisierung werden die Geräte und Maschinen der Kunden mit Kontrollzentren und bis über die Schnittstellen hinaus mit der Cloud verbunden. Dieser Prozess läuft unter dem Stichwort industrielles Internet der Dinge (IoT).

Marktumfeld für Industrieroboter ungünstig

Die grossen Hoffnungen von ABB liegen auf den Geschäftsfeldern Automation und Robotik. Für den Betrieb von Industrie- oder auch Service-Robotern sind digitale Prozesse besonders wichtig. Allerdings ist derzeit das Marktumfeld für Industrieroboter ungünstig. Einerseits leidet der Sektor unter der Schwäche der Automobilindustrie und andererseits unter dem Handelsstreit zwischen den USA und China. Auch der anhaltende Preisdruck seitens der Konkurrenz aus Asien macht ABB und anderen Roboterherstellern das Leben nicht einfacher.

So hat nicht nur ABB zuletzt mit der Division Robotik & Fertigungsautomation einen empfindlichen Rückgang beim Auftragseingang erlitten, sondern auch beispielsweise der deutsche Konkurrent Kuka. Gemäss dem internationalen Verband für Robotik dürfte die Zahl der neu installierten Roboter im laufenden Jahr erstmals seit 2012 stagnieren. Allerdings prognostiziert er gleichzeitig für die darauffolgenden drei Jahre ein Wachstum von durchschnittlich 12 Prozent im Jahr.

Auch ABB zeigt sich diesbezüglich nicht pessimistisch für die Zukunft und will an diesem Wachstum teilhaben. Dies zeigt unter anderem die Investition von rund 150 Millionen US-Dollar in eine Roboterfabrik in China. Die "Fabrik der Zukunft" wird in Shanghai in der Nähe des bereits bestehenden Robotik-Campus gebaut. Mittels Automatisierung und der Kombination von verschiedenen Technologien sollen dort Roboter andere Roboter herstellen.

Ob ABB mit der neuen Strategie zu Wachstum und höheren Margen zurückfindet, wie sich dies kritische Investoren erhoffen, bleibt abzuwarten. Die Konkurrenz auf dem Gebiet ist gross, denn es gibt heute wohl kaum ein Industrieunternehmen mehr, das ohne digitale Prozesse auskommt und auch entsprechende Produkte anbietet. Dass Maschinen permanent überwacht werden, ist heute Standard.

Globale Allianz für Cybersicherheit

Wichtige Themen im Zusammenhang mit der Digitalisierung sind etwa auch die Stabilität der Stromversorgung oder die Sicherheit der Daten. Über Sicherheitsprobleme wird von den Herstellern natürlich eher zurückhaltend gesprochen. Dass das Thema aber akut ist, zeigt der vor kurzem erfolgte Eintritt von ABB in eine globale Allianz für Cybersicherheit, zur so genannten «Operational Technology Cyber Security Alliance» (OTCSA).

Guido Jouret, der Chef der digitalen Aktivitäten von ABB, berief sich in diesem Zusammenhang in einem Interview mit AWP auf ein Zitat: «Es gibt nur zwei Arten von Firmen, solche die gehackt wurden und solche, die es nicht gemerkt haben.» Eine Cyberattacke müsse aber nicht zwingend von ausserhalb der Firma kommen, so Jouret. «Ebenso kann ein Laptop eines Mitarbeiters von einer bösartigen Software befallen sein. Niemand ist immun dagegen.»

Wie viel an ABB ist schon digital und wie viel noch «Old Economy»? Dazu meinte Jouret: «Das ist schwierig zu bemessen, denn schliesslich gibt es seit rund fünf Jahrzehnten digitale Technik. Wir bekommen mittlerweile rund 45 Prozent der Aufträge für Produkte, die mit der digitalen Transformation zusammenhängen. Das sagt aber noch nicht viel über den effektiven Wert der digitalen Lösungen aus.»

Matchentscheidend für die Zukunft wird wohl sein, ob ABB die verschiedenen Baustellen zu einem guten Abschluss bringt und wie das Unternehmen künftig mit seinen Produkten und digitalen Lösungen bei den Kunden im Vergleich zur Konkurrenz abschneidet.

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Mit Technik gegen Personalmangel: In Houston arbeitet ein Roboter von ABB als Hilfslaborant. Bald soll er den Patienten auch Bettwäsche bringen. Mehr hier.

(awp/gku)

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