Braucht die Schweiz ein Stromabkommen mit der EU? Am Mittwoch hat sich der Bundesrat einmal mehr dafür starkgemacht. Im Vorfeld haben die üblichen Verdächtigen – die Gewerkschaften und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher – dagegen Stimmung gemacht. Und ja, es gibt Gründe gegen ein Stromabkommen mit der EU, vor allem wenn man Gewerkschafter ist. Denn über das Abkommen soll die Schweiz enger in den EU-Strommarkt integriert werden. Damit gehen gewisse Liberalisierungsschritte einher wie die in der Schweiz seit zwanzig Jahren aufgeschobene finale Marktöffnung für Kleinkunden.
Wirklich störend ist aber die einmal mehr verbreitete Vorstellung, eine «autonome» Stromversorgung der Schweiz sei sicherer oder günstiger als die Integration in den europaweiten Markt. Die Geschichte der Schweizer Stromversorgung beweist das Gegenteil, denn sie war schon immer eine Geschichte von Import und Export. Als 1904 im Puschlav das damals grösste Wasserkraftwerk Europas gebaut wurde, gab es nur ein Ziel: Export des Stroms nach Italien. Schweizer Kunden waren noch gar nicht angebunden. In den gut 120 Jahren danach hat die Schweizer Stromwirtschaft viel Geld mit dieser Grenzleitung verdient. Heute hat die Schweiz mehr als vierzig solche Grenzleitungen. Sie ist enger ins europäische Stromnetz integriert als die meisten Regionen Europas.
Stets fliesst Strom über die Grenzleitungen, mal in die Schweiz, mal aus der Schweiz heraus.
Die Folgen sind sichtbar. In wenigen Ländern gibt es weniger Stromausfälle als in der Schweiz, denn dank der Vernetzung lassen sich Schwankungen im Netz leicht ausgleichen. Und die kommen dauernd vor. Stets fliesst Strom über die Grenzleitungen, mal in die Schweiz, mal aus der Schweiz heraus. Die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts wie in Spanien ist bei uns daher viel geringer.
Doch juristisch wird die Einbindung immer schwieriger. Weil die Schweiz bei wichtigen Marktregeln der EU nicht mitgezogen hat, wird sie zunehmend vom Stromhandel ausgeschlossen. Das hat finanzielle Folgen für die grossen Stromkonzerne. Es wirkt sich aber auch auf die Grundversorgung aus. Es ist einfach: Je einfacher Strom gehandelt werden kann, desto einfacher kann auf Schwankungen im Netz reagiert werden.
Wenn sich die Schweiz nicht sicher sein kann, ob sie im Winter weiterhin Strom importieren kann, muss sie viel grössere Reservekapazitäten bereithalten als mit einem Stromabkommen.
Ein Beispiel ist die zuletzt viel diskutierte Regelenergie. Wenn sich die hiesigen Versorger verplanen, muss Swissgrid kurzfristig ins Netz eingreifen und Strom beschaffen. Weil der Markt aber nur von Schweizer Firmen bedient wird, ist er nicht liquide. Die Preise sind hoch. Ein weiteres Beispiel ist die Winterstrom-Reserve. Wenn sich die Schweiz nicht sicher sein kann, ob sie im Winter weiterhin Strom importieren kann, muss sie viel grössere Reservekapazitäten bereithalten als mit einem Stromabkommen. Das heisst: milliardenteure neue Kraftwerke nur für Notfälle.
Ja, mit dem Stromabkommen gibt man politische Autonomie preis. Es ist aber unredlich, der Bevölkerung vorzugaukeln, die Schweizer Stromversorgung sei autonom zu bewerkstelligen. Kosten und Unsicherheiten wären astronomisch. Die moderne Schweiz hat sich energiepolitisch nie autonom versorgt – und sie ist damit gut gefahren.