Diesmal hat der designierte US-Präsident Donald Trump nicht zum Tweet gegriffen: Höchstpersönlich las der Milliardär der Pharmabranche bei der ersten Pressekonferenz seit seiner Wahl die Leviten, kritisierte ihre Preispolitik scharf und schürte damit die Angst vor Ertragseinbussen im weltgrössten Gesundheitsmarkt. Die Reaktion erfolgte prompt: Noch während Trump am Mittwoch in New York vor Journalisten sprach, tauchten an der Wall Street die Aktien von Arzneimittelherstellern ab. Europas Gesundheitswerte schlossen sich am Donnerstag dem Abwärtstrend an.

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Branche geht bei Preisforderungen «über Leichen»

Trump nahm kein Blatt vor den Mund und kündigte einen härteren Kurs bei Preisverhandlungen für Medikamente für das staatliche Gesundheitsprogramme an. Er warf den Unternehmen vor, bei ihren Preisforderungen an den Staat «über Leichen zu gehen». Zudem kritisierte er, dass viele Firmen im Ausland produzierten.

Seine Äusserungen zeigten Wirkung: Die USA ist der mit Abstand wichtigste Markt für die eine Billion Dollar schwere Pharmaindustrie - sie erzielt dort 40 Prozent ihrer Umsätze. Zudem verdienen die Unternehmen dort überdurchschnittlich gut, weil ihnen bislang bei dem, was sie für ihre Medikamente verlangen, kaum Grenzen gesetzt sind.

Die Aktien der Branchenriesen wie die beiden Schweizer Arzneimittelhersteller Novartis und Roche, die britische Shire und der deutsche Merck-Konzern gingen auf Talfahrt, verloren zum Teil mehr als 3 Prozent an Wert. Der europäische Sektorindex sackte um 2 Prozent ab. Dass sich die Bayer-Aktien mit weniger als ein Prozent Kursminus vergleichsweise gut hielten, liegt Händlern zufolge daran, dass die Leverkusener und ihr Fusionspartner Monsanto bei Trump für den 66 Milliarden Dollar schweren Zusammenschluss der beiden Konzerne geworben haben. Einem Firmensprecher zufolge war das Gespräch produktiv.

In falscher Sicherheit gewiegt?

Dabei wurde Trumps überraschender Wahlsieg im November noch mit Kursgewinnen im Pharmasektor begrüsst. In einer Präsidentin Hillary Clinton hatten die Investoren das grössere Risiko gesehen, die demokratische Kandidatin hatte sich den Kampf gegen den «Wucher» im Arzneimittelsektor ganz oben auf die Fahnen geschrieben. In den Hintergrund rückte, dass auch Trump das Thema im Wahlkampf schon aufgegriffen hatte. «Das war eine sehr oberflächliche Einschätzung: Hillary ist schlecht für die Pharmaindustrie und Trump gut», sagte Michael Nawrath, Pharma-Analyst bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB).

Andauernde öffentliche Kritik könnte dazu führen, dass die Listenpreise für Medikamente weniger stark steigen, warnten die Analysten von Morgan Stanley. Diese bilden die Basis für die Abrechnung im staatlichen US-Gesundheitssystem Medicare. Zwar werden noch Rabatte fällig, die bis zu 40 Prozent betragen können. Doch bei der anfänglichen Preisfestsetzung gibt es kaum Einschränkungen. Auch in direkten Preisverhandlungen mit Medicare sehen die Experten daher einen Risikofaktor.

Unternehmen warten ab

Die Stellungnahmen von Pharmaunternehmen waren von Vorsicht und Zurückhaltung geprägt. Tenor: Abwarten, welche Massnahmen wirklich ergriffen werden. «Die konkrete Ausgestaltung werden wir erst später im Laufe des Jahres 2017 analysieren und bewerten können», erklärte eine Sprecherin von Boehringer Ingelheim. Bei Novartis hiess es, der Konzern wolle mit der neuen US-Regierung, dem Kongress, den Versicherungen und anderen Akteuren im Gesundheitssystem zusammenarbeiten, um tragfähige Lösungen und einen besseren Zugang zu Arzneien für alle Patienten zu ermöglichen.

«Preisverhandlungen für Medikamente sind in vielen Gesundheitssystemen der Welt Normalität», sagte Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin vom deutschen Branchenverband vfa. «Wichtig ist, dass sie fair und nach nachvollziehbaren Kriterien ablaufen.»

Wertbasierte Preisfestlegung

Dass die Branche umdenken und bei der Preisfindung und -rechtfertigung neue Ansätze suchen muss, zeichnet sich seit längerem ab. Nicht erst seit Preiseklats wie beim Medikament EpiPen zur Behandlung allergischer Schocks von Mylan oder dem Mittel Daraprim gegen die Infektionskrankheit Toxoplasmose von Turing Pharmaceuticals hinterfragen schuldengeplagte Regierungen, Krankenkassen und Patienten die Preispraxis Pharmakonzerne. Die Gesundheitssysteme stossen an ihre Grenzen, auch weil die Therapien immer komplexer werden.

Ein Weg ist dabei die wertbasierte Preisfestlegung. Davon profitieren würden in erster Linie allerdings Arzneien, die das Leben der Patienten merklich verlängern, ihnen eine bessere Lebensqualität, ein normales Leben oder eine schnellere Rückkehr in den Alltag versprechen.

(reuters/ccr)