Die nachhaltige Positionierung eines Finanzplatzes in einem multinationalen Kontext muss der zentrale Aspekt jeder Finanzplatzpolitik sein. Positionieren heisst, sich abzugrenzen von seinen Mitbewerbern und festzuhalten, was man sein will und was nicht, wie man wahrgenommen werden will und was die Fähigkeiten, Eigenschaften und Werte sind, die hinter einer Dachmarke der Finanzplatzpolitik stehen sollen. Damit ist in erster Linie die Positionierung unseres Finanzplatzes im Rahmen der Europäischen Union gemeint. Da diese Grundstrategie angesichts sich verändernder politischer Machtverhältnisse in Parlament und Regierung heute weniger klar denn je zu sein scheint, muss die Finanzplatzstrategie darauf ausgerichtet sein, sich Realoptionen im Sinne künftiger Entscheidungs- und Handlungsfreiräume offen zu halten. Wir können dabei für diese Positionierung unseres Finanzplatzes von zwei alternativen Szenarien ausgehen: einem Konfrontationsszenario und einem Adaptionsszenario.

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Das Konfrontationsszenario basiert auf dem bisher erfolgreichen Konzept des Bilateralismus. Es zementiert auch im Finanzplatzbereich den Sonderfall Schweiz. Die dabei zu definierende Strategie wird bewusst reaktiv ausgerichtet – reagiert wird erst, wenn der Druck seitens der Europäischen Union, eines ihrer Mitglieder oder eines anderen Staates ein für unsere Volkswirtschaft schädliches Mass zu erreichen droht. Die schweizerische Finanzplatzpolitik geht dabei von der Hypothese aus, dass diese harte und konsequent vertretene Position mit der Zeit von den Mitbewerbern im internationalen Finanzdienstleistungsmarkt stillschweigend akzeptiert werden wird. Die von Zeit zu Zeit unvermeidbar angedrohten und teilweise auch umgesetzten Retorsionsmassnahmen einzelner Staaten werden in Kauf genommen. Nicht zuletzt könnte mit einer solchen Strategie nicht nur der ökonomische, sondern der angesichts der sich abzeichnenden Problemfelder im politischen Diskurs mit der EU nicht minder bedeutsame politische Wert des Bankgeheimnisses erhalten werden. Eine auf Konfrontation ausgerichtete Finanzplatzstrategie verspricht kurzfristig aus einer Finanzplatzoptik heraus durchaus Erfolgschancen. Sie spekuliert damit, dass die Gremien der Europäischen Union mit der Umsetzung der Osterweiterung auf absehbare Zeit zu beschäftigt sein werden, um den Aspekten des Informationsaustausches weiterhin eine gleich hohe Aufmerksamkeit zukommen zu lassen wie bisher. Das kann einerseits dazu führen, dass man der in einzelnen Bereichen widerspenstigen Schweiz nicht mehr gar derart viel Aufmerksamkeit schenkt wie bis anhin. Es kann andererseits aber auch bewirken, dass von der EU als richtig und notwendig erkannte Entscheidungen im Verkehr mit der Schweiz und ihrem Finanzplatz rasch, konsequent und ohne weitere Diskussionen umgesetzt werden.

Die Alternative zu einem solchen Konfrontationsszenario ist ein Adaptionsszenario. Diese Alternative bedeutet eine gezielte und auf spezifische Entscheidungs- und Handlungsfelder fokussierte Integration der Schweiz in die europäische Gemeinschaft, die über die Zielsetzungen eines Bilateralismus hinausgeht. Adaption bedeutet einerseits eine Angleichung des schweizerischen Wertesystems an den normativen Rahmen der Gemeinschaft, andererseits das sich daraus ableitende Verständnis des Landes als Element des politischen, ökonomischen und sozialen Systems der Europäischen Union. Für den Finanzplatz von Bedeutung sind hier weniger die formalen Aspekte als die ethisch-normativen Elemente einer solchen Integration. Eine Integrationsphilosophie geht von einem Set an gemeinsamen Werten und daraus abgeleiteten Normen aus, die letztlich in der EU-weit akzeptierten und realisierten Gesetzgebung ihren Niederschlag finden. Ein weiteres Kernelement dieser Integrationsphilosophie ist das Selbstverständnis der Schweiz nicht als Sonderfall beziehungsweise als Abgrenzung zur Europäischen Union, sondern als integraler Bestandteil des «neuen Europa». Mit der Interpretation des Finanzplatzes als Element eines europäischen Finanzintermediationssystems geht eine Verschiebung des strategischen Fokus der Finanzplatzpolitik in Richtung Regionalisierung einerseits und nischenorientierter Internationalisierung andererseits einher. Was damit gemeint ist, kann anhand von drei idealtypischen Strategievarianten zur Ausgestaltung einer zukünftigen schweizerischen Finanzplatzpolitik innerhalb des Spannungsfeldes zwischen dem Konfrontations- und dem Adaptionsansatz skizziert werden: einer Fokussierungsstrategie, einer Integrationsstrategie sowie einer Harmonisierungsstrategie.

Mit der Strategievariante Fokussierung steht ein nischenorientierter Ansatz im Mittelpunkt der Finanzplatzpolitik. Dabei wird der Finanzplatz noch prononcierter als bisher auf die Vermögensverwaltung für eine wohlsituierte, primär ausländische Klientel ausgerichtet. Die Positionierung im internationalen Standortwettbewerb geschieht über eine Abgrenzung gegenüber konkurrierenden Finanzplätzen. Das Bankgeheimnis spielt in dieser Strategie eine Schlüsselrolle. Es wird aus allen Verhandlungen mit der Europäischen Union herauszuhalten sein. Daraus entstehende Nachteile für andere Sektoren der schweizerischen Wirtschaft werden bewusst in Kauf genommen, da man davon ausgeht, dass die Wertschöpfung des Finanzplatzes diese mindestens aufzuwiegen vermag. Diese Fokussierungsstrategie richtet die Finanzplatzpolitik prioritär auf eine – zeitlich allenfalls beschränkte – Konfrontationsstrategie aus. Man ist sich zwar bewusst, dass mittelfristig auch für den Finanzplatz kein Weg an einer gegenüber heute deutlich weiter gehenden Integration ins europäische Finanzintermediationssystem vorbeiführt, will diesen Zeitpunkt aber angesichts der sich abzeichnenden Probleme in einem erweiterten EU-System möglichst weit in die Zukunft verschieben.

Von einem anderen Szenario geht eine Finanzplatzpolitik aus, die auf die Umsetzung einer Harmonisierungsstrategie ausgerichtet ist. Regulatorische Rahmenbedingungen, normative Fundamente, Geschäftsmodelle der Finanzinstitutionen und Wettbewerbsstrategien werden auf einen gesamteuropäischen Finanzmarkt ausgerichtet. Im regulatorischen Bereich werden dazu konsequent die EU-Standards angewendet; auf einen darüber hinausgehenden «Swiss Finish» wird verzichtet. Im normativen Bereich akzeptiert die Schweiz jedoch die Forderungen der EU-Partner nach Informationsaustausch insofern, als sie bereit ist, Anpassungen im Strafgesetzbuch beziehungsweise im Steuerstrafrecht vorzunehmen, die eine Verfolgung von Steuerhinterziehung von Privatpersonen unter bestimmten Umständen erlauben. Ansatzpunkte könnten etwa ein hinreichend begründeter Tatverdacht, der Betrag der Hinterziehung oder die Tatwiederholung sein. Diese Strategie würde es den Schweizer Banken erlauben, das Bankgeheimnis als Wettbewerbsvorteil im Vermögensverwaltungsmarkt in formeller Hinsicht beizubehalten, in materieller Hinsicht aber eine Annäherung an die seitens der EU und der OECD geforderte Lösung vorzunehmen.

Ein drittes Denkmodell einer Finanzplatzstrategie unterstellt, dass ein Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union mittelfristig unvermeidbar ist. In diesem Szenario erscheint es sinnvoll, durch die Finanzplatzpolitik die Transformation des Finanzplatzes auf diese Integration hin zu unterstützen. Das Bankgeheimnis wird dann wahrscheinlich auch in einer ferneren Zukunft immer noch im gleichen Wortlaut wie bisher im Gesetz stehen. Wie im Beispiel der Harmonisierungsstrategie werden aber auch hier Anpassungen etwa im Steuerstrafrecht vorzunehmen sein, die einer materiellen Aufhebung des Privatsphärenschutzes nahe kommen. Im Unterschied zur Harmonisierungsstrategie wird aber in diesem Modell von einem automatischen Informationsaustausch auszugehen sein, wie ihn die EU im Rahmen ihrer bisherigen Beschlüsse gefordert hat und wohl auch weiter fordern wird. Höchstes Ziel der Finanzplatzpolitik muss es bei diesem Denkmodell noch weit stärker als in den anderen beiden Strategievarianten sein, für das Finanzintermediationssystem Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen über niedrige Transaktionskosten, überdurchschnittliche fachliche und soziale Kompetenz sowie, daraus resultierend, eine im Marktvergleich herausragende Performance ermöglichen und nachhaltig sichern.

Beat Bernet ist Professor für Bankmanagement an der Universität St. Gallen und geschäftsführender Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen. Der vorliegende Text ist ein stark gekürzter Auszug aus seinem Buch «Geld & Geist – Finanzplatz Schweiz zwischen Evolution und Revolution», das Ende Februar bei Orell Füssli erscheint.