Flog Gautam Adani wie Ikarus zu nahe an der Sonne? Letztes Jahr war der indische Industriemagnat noch der Gewinner unter den Superreichen dieser Welt. Während 2022 praktisch alle anderen Milliardäre an Vermögen einbüssten, konnte er seinen Reichtum ausbauen, was ihn zum weltweit drittreichsten Menschen aufsteigen liess – hinter Bernard Arnault und Elon Musk.

Nun ist Adani zum bislang grössten Verlierer seiner Gilde geworden. In nur einer Woche hat er mehr als 85 Milliarden Dollar verloren. Unter dem Strich sind es seit Jahresbeginn laut Bloomberg knapp 50 Milliarden Dollar, die der Inder eingebüsst hat. Mittlerweile belegt Adani im Bloomberg Billionaires Index noch Position 13. Direkt vor ihm liegt sein Landsmann und Konkurrent Mukesh Ambani, der mit seinem Konzern Reliance Industries in gleichen Geschäftsfeldern wie er aktiv ist.

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Betrugsvorwürfe gegen Adani Group

Der Absturz Adanis ist auf Betrugsvorwürfe gegen seine Unternehmensgruppe zurückzuführen. Seine Adani Group ist ein Mischkonzern, zu dessen Geschäftsfeldern unter anderem Rohstoffe, Logistik sowie die Energieversorgung zählen. Diesem warf der aktivistische US-Leerverkäufer Hindenburg Research in einem Bericht letzte Woche vor, «dreiste Aktienmanipulation und Bilanzbetrug über Jahrzehnte» betrieben zu haben und überschuldet zu sein. 

Adani dementiert diese Anschuldigungen. Seither decken sich die beiden Seiten mit Gegenvorwürfen ein. Adanis Problem: Die Finanzwelt nimmt die Angriffe von Hindenburg Research sehr ernst.  

Der indische Industrielle sah sich nun auch dazu gezwungen, den Verkauf von Aktien des Mutterkonzerns Adani Enterprises abzubrechen. Der Kurs des Unternehmens ist daraufhin um 28 Prozent gefallen. Adani erklärte am Mittwoch, den Aktienverkauf fortzusetzen, sei «moralisch nicht in Ordnung». Kleinanleger hatten zuvor nur 12 Prozent des Anteils erworben, der ihnen zur Verfügung stand. Abu Dhabi Investment Authority, der Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate, war als Ankerinvestor aufgetreten. 

Kohle machen mit Kohle

Die Basis für seinen nun schrumpfenden Reichtum hatte Adani, Studienabbrecher und ehemaliger professioneller Diamantenhändler, in den 1990er Jahren gelegt. Damals sicherte er sich den Hafen in Mundra an der Westküste Indiens. Später führte sein Weg in den Energiesektor, und seitdem scheffelt Adani Kohle mit Kohle. 

Gautam Adani und aktueller Premierminister Narendra Modi reichen sich 2011 an einem Gipfeltreffen die Hand.

Seit Jahren gute Freunde: Gautam Adani und der aktuelle Premierminister Narendra Modi reichen sich 2011 an einem Gipfeltreffen die Hand.

Quelle: imago/Hindustan Times

In den vergangenen Jahren hat der reichste Asiat sein Konglomerat stetig ausgebaut, indem er sich in ziemlich unterschiedliche Bereiche vorgewagt hat, alles gebündelt in der Adani Group. So besitzt der Konzern etwa Indiens grössten privaten Hafen- und Flughafenbetreiber, mehrere Rechenzentren und einen städtischen Gasversorger. Im Frühling 2022 kaufte Adani das indische Zementgeschäft von Holcim für 6,4 Milliarden Franken. Und in Australien baut er gerade eines der grössten Bergwerke der Welt, das Steinkohlebergwerk Carmichael.

Profiteur einer alten Freundschaft

Adanis bisheriges Erfolgsrezept: Er baut auf Geschäftszweige, die Premierminister Narendra Modi als entscheidend für die Erreichung der langfristigen Ziele Indiens ansieht. Hilfreich ist dabei, dass der Wirtschaftsmagnat und der Regierungschef seit Jahren gut befreundet sind. Beide stammen aus dem westlichen Bundesstaat Gujarat – und schafften gemeinsam den Aufstieg: Adani als Unternehmer, Modi als Politiker. 

Adani war einer der wichtigsten Unterstützer von Modi, der zuvor Chefminister von Gujarat war, bis dessen politisches Streben 2014 im Amt des indischen Premiers mündete. Als dieser seinen Posten antrat, flog er in Adanis Privatjet in die Hauptstadt Neu-Delhi. Das war nicht nur eine offene Freundschaftsbekundung, sondern auch ein Symbol für den gleichzeitigen Machtaufstieg. 

Mit seinem Imperium agiert Adani oft im Gleichschritt mit den Plänen der indischen Regierung. Premierminister Modi drängt in Richtung erneuerbare Energien, und gleichzeitig investiert die Adani Group Milliarden in grüne Technologien, was dem Konzern erhebliche Gewinne eingebracht hat. 

Modi will auch die inländische Produktion von Verteidigungsgütern steigern, um die Abhängigkeit von Waffenimporten aus dem Ausland zu verringern. Und was macht die Adani Group? Sie beginnt die Entwicklung von Drohnen und Drohnenabwehrtechnologien sowie von Kleinwaffen und Munition, was dem Konzern staatliche Aufträge fürs indische Militär eingebracht hat.

Ein Ende des Höhenflugs?

Die Folge: Adanis Konglomerat hatte 2022 Hochkonjunktur, weil es gleichzeitig auch von der weltweiten Energiekrise profitierte. Dieser Höhenflug ist nun erstmal vorbei. 

Erste dunkle Wolken am Adani-Himmel waren bereits im vergangenen Jahr zu erkennen. Gegen Ende 2022 stiessen Anlegerinnen und Anleger die Aktien der Gruppe aufgrund der hohen Bewertungen ab. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Bedenken gegenüber der Stabilität von Adanis schnell wachsendem Imperium bereits gemehrt. So hatte das zur Ratingagentur Fitch gehörende Unternehmen Creditsights die Adani Group in einem im vergangenen Sommer veröffentlichten Bericht als «stark überschuldet» bezeichnet. Später milderten die Kreditmarktforscherinnen und -forscher ihre Aussage aber wieder etwas ab.

Jetzt sind auch staatliche Institutionen aktiv geworden. In Indien und Australien prüfen Behörden die Betrugsvorwürfe von Hindenburg Research.