Als Silicon Valley des hiesigen Detailhandels galt Grenchen Süd bisher nicht unbedingt. Und doch blickt dieser Tage tout Suisse in die Solothurner Uhrenstadt. Weil die Migros Aare am Montag dort mit Voi Cube das erste unbemannte und kassenpersonallose Format des orangen Riesen in der Schweiz eröffnet hat.

Per App in den Laden eintreten, dort für sich alleine eintüten, was man haben will und dann kontaktlos bezahlen – das in etwa bietet der knapp stubengrosse Voi Cube. Ein Schweizer Laden ohne Personal, der nur per App betreten werden kann und immer offen ist: Voi Cube hätte zwar leise starten sollen, sorgte dann aber für grosses Interesse, Rummel und Neugier.

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Jagd auf den C-Franken

Retail-Profis hingegen kommt das Konzept eher bekannt vor. Tatsächlich bietet Valora mit seinen Formaten Avec Box und Avec X das unbemannte App-Shopping schon seit zwei Jahren. Dort aber digital zu Ende gedacht; die Kundinnen und Kunden können per App bezahlen. Bei Voi Cube geht das aktuell nicht: «Wir wollen schrittweise vorgehen und zunächst das Kundenbedürfnis abklären. In einem zweiten Schritt können dann neue Features eingeführt werden», sagt Sara Hinske, Projektleiterin Strategische Entwicklung Supermarkt bei der Migros Aare. Die Ähnlichkeit zum Valora-Format streitet die Voi-Cube-Projektleiterin nicht ab: «Es ist ein ähnlicher Ansatz. Es ist ein begehbarer Warenautomat und keine Filiale.»

Im Kern geht es der Migros mit Voi Cube ums Gleiche wie der Valora mit ihren kassenlosen Läden: Im sogenannten Convenience-Business diejenigen Kundinnen und Kunden zu bedienen, die schnell und unkompliziert zu ihren Produkten kommen wollen. Mit Voi Cube, so Hinske, wolle man «den Menschen den Alltag erleichtern». Bei Valora heisst das: «Einkaufen noch schneller, bequemer und unkomplizierter machen.»

21 Prozent plus

Wachstum: Migrolino, der Convenience-Kanal der Migros-Gruppe, wuchs 2020 um 20,8 Prozent und kam damit auf einen Umsatz von 716 Millionen Franken.

Automat: Im Januar 2020 sorgte Migrolino mit seinem Verkaufsautomaten Pick-me 24/7 für Schlagzeilen. Zu einem Roll-out kam es bisher nicht. Die Testphase in Dietikon laufe nach wie vor.

Austausch: Es würden weitere Testverkaufsstellen für Pick-me 24/7 entstehen, meldet Migrolino. Man stehe dazu auch im Austausch mit der Migros-Zürich-Tochter Tegut in Deutschland, die dort mit dem Projekt Teo einen digitalen Selbstbedienungsladen einsetzt.

C wie Convenience bedeutet oft auch, dass der Preis beim Impulskauf nicht die Hauptrolle spielt. Der Schokoriegel, der Energydrink oder das Mineralwasser muss schnell verfügbar sein; dafür zahlt man dann auch mal mehr als im gewöhnlichen Supermarkt. Aktuell besteht das Sortiment von Voi Cube aus etwa 500 Migros-Produkten, die gleich viel kosten wie in jeder anderen Filiale auch. Gemäss Voi-Cube-Projektleiterin Hinske dauert die Testphase zunächst drei Monate, in spätestens sechs Monaten wolle man ein Fazit ziehen. Convenience wird auch dann noch ein Thema sein.

Abgekupfert bei Avec Now?

Die Jagd nach dem C-Franken ist zwar in der aktuellen Pandemiephase, die weniger Kundschaft an den üblichen Hochfrequenzlagen zur Folge hat, schwieriger geworden. Aber sobald sich die Lage normalisiert hat, dürfte auch das Convenience-Geschäft wieder anziehen. Zur Überbrückung dieser Durststrecke lancieren die Convenience-Anbieter nun vermehrt Online-Dienste.

So setzt die Valora-Tochter Avec mit ihrem Online-Dienst Avec Now seit kurzem auf Auslieferungen, die innert 60 Minuten und ab einer Mindestbestellung von 20 Franken ohne Liefergebühr erfolgen. Dieser Tage hat nun die Migros-Convenience-Tochter Migrolino nachgezogen. Mit einem Lieferdienst namens Hey Migrolino, der bezüglich relevanter Merkmale wie Lieferfrist innert 60 Minuten, Gratislieferung ab einem Bestellwert von 20 Franken und Bildsprache sehr stark an Avec Now erinnert: «Hey Migrolino ist seit dem 29. Januar online. Der Online-Dienst ist Lockdown-motiviert. Es geht uns darum, mit den Kunden in Kontakt zu bleiben», sagt Migrolino-Chef Markus Laenzlinger.

Für Laenzlinger hat das neue Angebot Probecharakter: «Fürs Erste ist das nun einmal ein Test.» Zunächst habe ein Click-&-Collect-Modell auf der Agenda gestanden, mit dem Lockdown sei aber klar geworden: «Wir wollen unser Geschäftsmodell mit dieser Dienstleistung anreichern, um das Bedürfnis für einen Online-Store abzuklären.» Dafür am Werk sei die Migros-Digitaltochter gewesen, sagt Laenzlinger: «Sparrow Ventures hat uns diesen Online-Store gebaut.»

Für Fachleute ist klar: Auf der Jagd nach dem C-Franken wurde bei Hey Migrolino stark bei Avec Now abgekupfert. Was Laenzlinger selbstredend anders sieht: «Wir haben nicht auf Avec Now geschaut. Wir wollten einfach so schnell wie möglich online gehen.»

Convenient eben.

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Andreas Güntert
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