Jeder kennt Müller-Thurgau. Die Rebsorte, die in der Schweiz auch als Riesling x Sylvaner bezeichnet wird, ist die erfolgreichste Neuzüchtung aller Zeiten. Gekreuzt hat sie Dr. Hermann Müller-Thurgau in der Forschungsanstalt in Geisenheim am Rhein in Deutschland.

Dieses Jahr feiert die Weinwelt 175 Jahre Müller-Thurgau. Der bekannte Forscher und Agronom wurde 1850 in Tägerwilen, im Kanton Thurgau, geboren. Von 1891 bis 1924 leitete er die Versuchsstation für Obst-, Wein- und Gartenbau in Wädenswil.

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Filmische Würdigung

Markus Matzner ist Journalist, Hobbywinzer und ein «Seebueb» aus dem Thurgau. Filmerfahrung sammelte er beim Schweizer Fernsehen. Seit 2019 ist er Chefredakteur der Fachzeitschrift «Obst+Wein» und damit ein Nachfolger von Professor Dr. Hermann Müller-Thurgau, der die Publikation im Jahr 1891 gründete.

Was liegt da näher, als zum Jubiläumsjahr des grossen Schweizers, der die Weinwelt so nachhaltig prägte, einen Film zu drehen? Was als Kurzfilm angedacht war, entwickelte sich zum Dokumentarfilm in Festivallänge.

Er zeigt die vielen Facetten eines Mannes, der seinem Namen noch «Thurgau» anhängte, damit er von den vielen anderen Hermann Müllers im deutschsprachigen Forschungsbetrieb unterscheidbar war.

 

War Müller-Thurgau ein Universalgenie?

Markus Matzner: Müller-Thurgau wusste auf vielen Gebieten unglaublich viel. Und er war produktiv. Zu seiner Zeit gab es keinen Fernseher, keine sozialen Medien. Nach dem Abendessen widmete man sich noch der Fachliteratur, schrieb Forschungsergebnisse ins Reine, führte Tagebuch und korrespondierte mit anderen Wissenschaftlern.

Was ist das Vermächtnis des berühmtesten Rebenzüchters aller Zeiten?

Die Züchtung der Sorte Müller-Thurgau oder Riesling x Sylvaner steht im Zentrum seines Schaffens. Sehr wichtig ist auch seine Funktion als Berater in einer Zeit, als der Weinbau in der Krise steckte. Mangelnde Qualität und Absatzprobleme plagten die Produzenten um 1900 bis nach dem Ersten Weltkrieg. Die Winzer damals hatten wenig Kenntnisse über Vorgänge im Rebberg und im Keller. Mal wurde der Wein gut, mal eben nicht. Wie die alkoholische Gärung funktionierte, war bekannt. Doch andere mikrobiologische Vorgänge bei der Weinproduktion kannten die Produzenten nicht. Hier leistete Müller-Thurgau viel Aufklärungsarbeit.

Filmszene «Das Genie am Bodensee»

Historische Szene: Dr. Hermann Müller-Thurgau und der Önologe Heinrich Schellenberg  im Labor.

Quelle: ZVG

In den 1990ern wurde bekannt, dass Sylvaner nicht der männliche Kreuzungspartner der Sorte Müller-Thurgau ist, sondern die unbekannte Sorte Madeleine Royale. Was war da los bei der Rebenzüchtung im Jahr 1882 im deutschen Geisenheim?

Die Historikerin und Leiterin des Weinbaumuseums Wädenswil Mariska Beirne fand die Zuchtbücher Müller-Thurgaus und gab der Geschichte so einen ganz neuen Dreh. Die Dokumente beweisen, dass Müller-Thurgau auch Kreuzungsversuche mit Riesling und der Sorte Madeleine Royale machte. Müller-Thurgaus Mitarbeiter, der Önologe Heinrich Schellenberg, fand heraus, dass wohl stimmte, was in Fachkreisen schon lange gemunkelt wurde. Sylvaner war nicht der Vater der neuen Sorte. Die charakteristische Muskatnote im Wein passte nicht zum Aromenprofil von Riesling und Sylvaner. Schellenberg wagte es wohl nicht, seine Erkenntnisse dem «Herrn Professor» unter die Nase zu reiben.

Die Zuchtbücher, alle Dokumente waren in Wädenswil. Weshalb blieb dieser Teil der Geschichte so lange verborgen?

Sagen wir es so: Die Schweiz hat Mühe mit Helden. 1965 strahlte das Schweizer Fernsehen eine Doku über die Forschungsanstalt Wädenswil aus. Dr. Hermann Müller-Thurgau und sein Werk wurden mit keinem Wort erwähnt. Man hat sich um dieses historische Erbe nicht gekümmert. Dabei erlebte die Sorte Müller-Thurgau in Deutschland ihren Boom gerade in den 1960ern und 70ern — und ein Schweizer war ihr Schöpfer.

Vom Kurz- zum Dokumentarfilm. Warum wurde der Streifen länger als geplant?

Die Idee einer filmischen Würdigung von Hermann Müller-Thurgau war mir schon länger ein Anliegen, aber es liess sich erst ab 2024 verwirklichen, als sich verschiedene Beteiligte Gedanken über ein Müller-Thurgau-Jubiläumsjahr machten. 2025 war es dann so weit. Wir planten den Film und dessen Finanzierung. Weil der Lotteriefonds des Kantons Zürich grosszügig war, reichten die gesprochenen Gelder für die filmische Umsetzung historischer Szenen. 

Mariska Beirne, Historikerin und Leiterin des Weinbaumuseums in Wädenswil mit original Aufzeichnungen von Hermann Müller-Thurgau.

Mariska Beirne, Historikerin und Leiterin des Weinbaumuseums in Wädenswil mit original Aufzeichnungen von Hermann Müller-Thurgau.

Quelle: ZVG

Welche waren das?

Die Schmugglerfahrt über den Bodensee vom deutschen Hagnau nach Ermatingen im Thurgau zieht sich wie ein blauer Faden durch den Film. 1925 ruderten Albert Röhrenbach, Sohn des Gutleiters von Schloss Kirchberg, und dessen Kumpel Gottfried Ainser, Sohn eines Fischers, zehn Kilometer über den See und zurück, um unerlaubterweise Müller-Thurgau-Stecklinge nach Deutschland zu holen. Auch Labor-Szenen stellten wir mit dem Original-Mikroskop von Hermann Müller-Thurgau nach.

Wie lange dauerte die Filmproduktion?

Die Planungsphase dauerte rund 30 Tage, dazu kamen zehn Drehtage. Danach hatten wir 15 bis 20 Stunden Material, das an zehn Tagen zu einem 50-minütigen Film geschnitten wurde. Ganz wichtig: Alle Beteiligten am Film machten die Arbeit im Nebenerwerb. Das Daily Business lief weiter.

Wo wird der Film gezeigt?

In Kinos und an privaten und halbprivaten Aufführungen. Wir haben den Film auch für die Solothurner Filmtage angemeldet. Eine Veröffentlichung auf Youtube ist in Planung. Am 24. Oktober beim grossen Müller-Thurgau-Jubiläumsfest in der Villa Rosenmatt in Wädenswil wird «Das Genie am Bodensee» nachmittags um 14.15, 15.15 und 16.15 Uhr gezeigt.

Filmdreh beim Weinbauzentrum Wädenswil mit Nachkömmlingen der ersten Müller-Thurgau-Rebe im Fokus.

Filmdreh beim Weinbauzentrum Wädenswil mit Nachkömmlingen der ersten Müller-Thurgau-Rebe im Fokus.

Quelle: ZVG

(W)eingeschenkt

Dieser Artikel ist im neuen Weinchannel (W)eingeschenkt der Handelszeitung erschienen, der von Mövenpick präsentiert wird. Weitere aktuelle Beiträge zum Thema Wein finden Sie hier.