Die Uhrenmanufaktur Audemars Piguet (AP) aus Le Brassus im Vallée de Joux ist eine von nur wenigen, die nach wie vor mehrheitlich in Besitz der Gründerfamilien ist. Unter der Führung des Franzosen François-Henry Bennahmias ist die Marke in den letzten zehn Jahren vom Nischenplayer zu einem der gefragtesten und umsatzstärksten Schweizer Luxusuhrenbrands avanciert.

Das Zugpferd ist die Kollektion Royal Oak, deren 50-Jahr-Jubiläum 2022 umtriebigst gefeiert wurde. Die ikonischen Uhren steuern rund 90  Prozent zum Umsatz des Unternehmens bei, den Analysten aktuell bei gegen zwei Milliarden Franken verorten. Das ist viermal so viel wie bei Bennahmias’ Antritt. Im Juni hat der 58-jährige überraschend kommuniziert, dass er das Unternehmen Ende 2023 verlassen wird.

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Herr Bennahmias, warum haben Sie gekündigt?

Erstens, weil ich auf dem Höhepunkt gehen möchte, zweitens, weil ich nicht Teil des Mobiliars werden will, und drittens, weil es vieles gibt, was ich sonst noch machen möchte in meinem Leben.

Zwei Monate nachdem Sie Ihren Abgang publik gemacht hatten, gab Jasmine Audemars das Ende ihrer Zeit als Präsidentin des Verwaltungsrat bekannt. War das so geplant?

Habe ich gewusst, dass sie dereinst auch aufhören möchte, weil sie sich ebenfalls gern anderen Dingen widmen möchte? Ja. Habe ich gewusst, wann sie das vorhat? Nein. Ich persönlich habe das Board bereits 2017 darüber informiert, dass ich 2023 aufhören werde.

Warum machten Sie dies volle 18  Monate vor der Zeit publik?

Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich nicht vorhabe, diesen Job ewig auszuüben. Das sorgte für Gerüchte. Um diese zu stoppen, haben wir entschieden, meinen Abgang per Ende nächstes Jahr bereits zu annoncieren und damit auch den Rekrutierungsprozess für die Nachfolge zu starten.

In der Gerüchteküche brodelt es weiter, insbesondere die Unabhängigkeit des Unternehmens steht zur Debatte. Es heisst, einzelne Aktionäre wollen ihre Anteile versilbern.

Das ist nichts als ein Gerücht. Jasmine Audemars hat dazu Stellung bezogen und klar gesagt, dass es keine Änderungen in der Beteiligung an Audemars Piguet gebe und geben werde und dass der Geist der Unabhängigkeit weiter bestehe.

Ihre Nachfolge ist offen. Sind Sie in die Suche involviert?

Nein. Ich werde erst am Schluss einbezogen und mit den letzten drei Kandidaten ein Gespräch führen und dann meine Meinung abgeben. Den Entscheid selber fasst der Verwaltungsrat, und ich gehe davon aus, dass wir einer Meinung sein werden.

Welche Qualitäten muss die Person haben, die auf Sie folgt?

Vor allem menschliche. Die Headhunter, die mit der Suche beauftragt sind, haben mich gefragt, welches mein bester Rat sei, den ich meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin geben könne. Ich sagte: «Hör auf die Leute in der Firma, die machen, nicht auf die, die reden.»

Audemars Piguet CEO François-Henry Bennahmias zieht seine Jacke an

AUF DEM SPRUNG François-Henry Bennahmias verlässt Audemars Piguet per Ende 2023.

Quelle: Julien Chavaillaz

Mann oder Frau?

Eine Frau wäre toll, es gibt viel zu wenige in dieser Branche. Aber am Ende soll der oder die Beste den Job bekommen.

Und was haben Sie vor?

Ich habe viele Ideen und will darüber noch nicht reden. Was ich sagen kann, ist, was ich sicher nicht mehr will: einfach der CEO einer anderen Firma sein. Ich will am Unternehmen beteiligt sein und auch, dass alle Mitarbeiter beteiligt sind. Ich habe schon viel gemacht, war in der Mode, dann die Uhren …

… und ganz davor noch Golfsport.

Ja. Ich hatte den Ehrgeiz, die Nummer eins zu werden. Als ich einsehen musste, dass es nie dazu kommen würde, habe ich es sausen lassen.

«Do or do not – there is no try», steht an Ihrer Bürotür. Das Zitat stammt von Yoda aus «Star Wars». Montieren Sie das Schild ab, wenn Sie gehen, und nehmen es mit?

Sicher. Der Spruch ist und bleibt meine Philosophie und mein Credo. Ich mache keine halben Sachen.

Und keinen Plan B?

In dem Moment, in dem man die Tür aufmacht für einen Plan B, denkt man daran, dass Plan A nicht funktionieren könnte. Ich sage nicht, dass man keinen Plan B haben soll, aber man soll keine Efforts hineinstecken, solange man mit Plan A engagiert ist.

Sie gelten als Enfant terrible der Branche …

… und wissen Sie, warum?

Weil Sie laut sind und dazu meist ziemlich unverblümt?

Das ist der Grund. Mich kann nichts und niemand dazu bringen, Nein zu sagen, wenn ich Ja denke, und umgekehrt. Ich sage, was ich denke, rede die Dinge nicht schön. Fehler machen, hadern, stolpern gehört doch zum Erfolg dazu. Auch in der Luxusindustrie, die sich nach aussen sehr gern so diskret, perfekt und nobel gibt.

Was waren Ihre grössten drei Fehler?

Es gibt keine grössten. Aber viele kleinere. Einer ist fraglos meine Tendenz, so schnell voranzugehen, dass die Leute nicht mehr nachkommen, zu rennen anfangen und ermüden. An einem gewissen Punkt hat man dann die ganzen Teams hinter sich erschöpft.

Worauf sind Sie stolz?

Auf das, was ich mit Leuten aufgebaut habe. Als ich vor 26 Jahren bei Audemars Piguet angefangen habe, waren wir 200 Leute, als ich CEO wurde, 1200, nun sind wir 2700. Der Vibe hier ist sehr besonders, ähnelt dem des kleinen gallischen Dorfes von Asterix und Obelix, das allen Widrigkeiten trotzt. Dieser Geist trug wesentlich dazu bei, dass wir zum Beispiel sehr gut durch die Covid-Krise gekommen sind.

Was ist mit Umsatz, Gewinn, Output – alles haben Sie vervielfacht, wie man es von Ihnen erwartet hatte.

Das stimmt so nicht. Seit ich hier übernommen habe, wurde ich weder seitens der Familie noch des Verwaltungsrats je unter Druck gesetzt, habe nie ein Wort gehört, dass von mir ein Umsatz- und Gewinnwachstum von 10 bis 20 Prozent im Jahr erwartet wird. Was ich hingegen immer wieder gehört habe, war, dass ich dafür zu sorgen habe, dass es Audemars Piguet auch in 200 Jahren noch gibt.

Null monetäre Ambitionen seitens der Inhaber?

Es gab einen kleinen Twist von Jasmine Audemars, die mich damals als CEO einsetzte. Sie sagte mir: «François, ich glaube, wir haben nicht den Platz in der Branche, den wir verdienen.» Ich habe sofort gewusst, was sie damit meint, und mich dann auf das fokussiert, wovon ich denke, dass ich es am besten kann: Leute zusammenbringen, allen eine Vision klar vermitteln und sie entflammen. Wenn man das richtig macht, kommt der Erfolg.

Was aus Ihnen wohl in einem börsenkotierten Unternehmen geworden wäre?

Ein Löwe oder ein Tiger. Da herrscht eine ganz andere Sichtweise vor, man muss im Quartal abliefern.

Was waren Sie denn bei AP?

Ein glücklicher Mann.

2022 feierten Sie 50 Jahre Royal Oak. Ihr Fazit?

Es gab grosse Feste und grosse Erwartungen – von unserer Seite, aber auch vonseiten der Kunden.

Die haben Sie ja auch geschürt.

Ja, aber wir hatten niemals erwartet, dass es kommt, wie es kam. Die Nachfrage nach unseren Uhren war verrückter als je zuvor, und zwar nicht nur nach Royal Oaks, sondern auf der ganzen Linie. Wir waren sehr gefordert, Frustrationen zu managen, haben dabei aber auch viel über unsere Kunden gelernt.

Was?

Zum Beispiel, dass sie sich keinen Begriff davon machen, wie wir produzieren, und nicht verstehen, dass wir nicht einfach den Output hochfahren, wenn die Nachfrage steigt.

Und das haben Sie wie herausgefunden?

Ich veranstalte seit einiger Zeit sogenannte «AP Hours», wo mir Kunden alle Fragen stellen können, die sie stellen wollen.

Alle?

Alle. Ich sage zu Beginn jeder Runde, ich habe einen Joker. Eingesetzt habe ich ihn bisher noch nie.

Kometenhafter Aufstieg

Audemars Piguet (AP) wurde 1875 von den Familien Audemars und Piguet in Le Brassus VD gegründet und ist nach eigenen Angaben die einzige Uhrenmanufaktur, die sich noch in den Händen ihrer Gründerfamilien befindet.

Die Royal Oak, die AP vor 50 Jahren auf den Markt brachte, war anders als alles, was es in der Schweizer Luxusuhrenindustrie zuvor gegeben hatte: kein Edelmetall, sondern Edelstahl, die Lünette achteckig und verschraubt, das Armband ins Gehäuse integriert. Sie war Kühnheit fürs Handgelenk.

Wäre die Uhr keine Uhr, sondern ein Manager, wäre sie François-Henry Bennahmias. In den zehn Jahren, da der vormalige Golfprofi die Luxusmarke führt, hat er die Regeln, wie man erfolgreich Luxusuhren verkauft, neu geschrieben: Er meldete AP sowohl von Uhrenmessen wie auch von Multimarkenhändlern ab, eröffnete eigene Boutiquen und schuf eigene Formate, um die Marke zu inszenieren, darunter Happenings an der Art Basel und AP-Golfturniere. All in all pushte der Franzose AP vom Nischenplayer unter die fünf umsatzstärksten Schweizer Uhrenhersteller.

Alles Glück hängt allerdings an der Royal Oak. 2019 lancierte Bennahmias die Kollektion Code 11.59 als Gegengewicht. Noch wiegt sie kaum etwas. Das kommende Jahr hat Bennahmias zum Code-11.59-Jahr erklärt – danach tritt er ab.

Nahaufnahme der Audemars Piguet Royal Oak Jumbo

HEISS BEGEHRT Die Royal Oak Jumbo ist eine der grössten Ikonen schweizerischen Uhrschaffens.

Quelle: PD

Gibt es dieses Jahr noch einen krönenden Abschluss?

Wir werden an der Art Basel Miami etwas bekannt geben mit Blick auf das kommende Jahr.

Was haben Sie vor?

2023 wird ein grosses Code-11.59-Jahr. Wir gehen von simpel zu extrem kompliziert und bringen die vielleicht komplizierteste Uhr, die je gemacht worden ist. Was ist übrigens Ihr Eindruck von der Schweizer Uhrenindustrie?

Die Frage beantworten bitte Sie.

Es gibt eine Art Aufwachen. Bis vor wenigen Jahren wurde immer nur über drei, vier Brands geredet. Die grossen Monster laufen nach wie vor sehr gut. Aber es rücken immer mehr Marken ins Bewusstsein der Kundschaft. Und dazu ganz kleine Hersteller, die extrem gut laufen. Wir sehen ausserdem ein massiv grösseres Interesse der jungen Generation, verglichen mit vor fünf, zehn Jahren. Notabene von einer Generation, von der man sagte, wir könnten sie als Kunden vergessen.

Wegen Smartwatches?

Nein, weil die überhaupt keine Uhren mehr wollen. In Bezug auf die ganze Schweizer Uhrenindustrie ist mein Gefühl: Das Glas ist halbvoll. Man ist weit davon entfernt, obsolet zu werden.

Was erwarten Sie für eine Zukunft?

Meine eigene: Grossartig. Die der Welt: Da bin ich für die nächsten zwei, drei Jahre nicht sehr zuversichtlich. Was mich dabei aber sehr beruhigt: Audemars Piguet ist in grossartiger Verfassung und bereit, jedem Sturm zu trotzen.

Im laufenden Jahr stellen Sie 50'000 Uhren her. Wohin gehen die eigentlich alle?

«Was denken Sie, wie viele von den 50'000 Uhren wir in China verkaufen?», ist eine meiner Lieblingsfragen, die ich in den «AP Hours» in die Runde werfe. Die Antwort lautet immer, «mindestens 10'000». Und sie ist falsch. Wir verkaufen nicht einmal in unserem grössten Markt, den USA, 10'000 Stück und in den nächstgrösseren Märkten wie Japan, Hongkong und der Schweiz nur je um die 4000 bis 5000. 50'000 Uhren, geteilt durch aktuell 250 Referenzen, macht im Schnitt 200 Einheiten pro Referenz. Eine der wichtigsten ist die Jumbo aus Stahl mit blauem Zifferblatt. Davon stellen wir etwa 1000 Stück im Jahr her.

Warum machen Sie nicht mehr davon und weniger von weniger gefragten Modellen?

Obwohl die Royal Oak die Entwicklung von Kollektionen bei Audemars Piguet eingeleitet hat, wurde jedes Modell bis heute nur in kleinen Stückzahlen produziert. Die Massenproduktion war für die Manufaktur nie eine Option.

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Sie fahren eine Strategie der Knappheit.

Nein, das würde ja bedeuten, dass wir den Output absichtlich tief halten. Das ist nicht der Fall.

Sondern?

Dieses Jahr ist unsere Kapazität auf 50'000 Stück limitiert, und ich bin nicht sicher, ob wir das schaffen. Der Uhrenindustrie geht es generell sehr gut, was dazu führt, dass unsere Lieferanten von zahlreichen Marken mit Bestellungen überhäuft werden mit der Folge, dass es zu Verzögerungen kommt. Zudem: Obschon wir derzeit grosse Beträge investieren, um unsere Produktionskapazitäten zu erhöhen, und laufend neue Uhrmacher ausbilden, wird sich an unserer Stückzahl in den nächsten Jahren nur wenig ändern.

Zehn Jahre als CEO. Welches war Ihre beste Idee?

Für mich persönlich ist es die Einführung der «AP Hours», um Kunden auf der ganzen Welt in intimem Rahmen zu treffen und mich mit ihnen auszutauschen.

Ihre härteste Lektion?

Irgendwann ist man auf seinem Everest und stellt fest: Was man am meisten gemocht hat, war der Weg hinauf. Ich war mein Leben lang sehr kompetitiv. Wenn man mir sagte, du schaffst keine 100, habe ich 150 geschafft. Wenn man mir sagt, das ist unmöglich, setze ich alles daran, das Gegenteil zu beweisen. Kämpfen, ziehen, pushen, man hat Erfolg, alle lieben die Marke, alle lieben einen. Doch ganz oben wird es einsam, man ist echt allein. Ich bin gespannt, was bleibt, wenn ich am 31. Dezember 2023 hier aufhöre.

Womit rechnen Sie?

Ich stelle mich darauf ein, dass 95 Prozent der Leute, die mich heute umschwärmen, wegfallen. Diese Seite des Erfolgs ist hartes Learning. Ich werde dereinst ein Buch schreiben und ihr ein Kapitel widmen.

Wie haben Sie sich persönlich verändert in der Zeit?

Ich habe ein Level erreicht, da ich mich viel ganzer fühle als noch vor zehn Jahren. Damals musste ich allen alles beweisen. Heute bin ich dank meiner Erfahrung imstande, sehr schnell zu erfassen, was zu tun wäre, um Dinge besser zu machen. Und das möchte ich teilen, andere unterstützen, sie beraten, ihnen helfen. Es geht mir heute weniger um Wettbewerb als um den Transfer meines Know-how.

Im Ernst?

Im Ernst. Ich möchte dereinst nicht zurückschauen und sagen müssen, mein Leben war ein einziger Wettkampf. Man kann das nicht ein Leben lang, das ist Stress.

Iris Kuhn Spogat
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