Eigentlich, sollte man meinen, ist das Rennen um die Nachfolge von LVMH-Patron Bernard Arnault seit Anfang Jahr so gut wie gelaufen. Erstens hat Arnault seinem ältesten Sohn Antoine die Leitung der Holding Christian Dior SE, über welche die Arnaults LVMH steuern, übertragen. Und zweitens hat er seine einzige Tochter, die 47-jährige Delphine, zur Chefin von Dior ernannt – und damit zur «Boss Lady» über eine Multimilliarden-Marke, der zweitgrössten beim mit Abstand grössten Luxuskonzern der Welt. Seither ist in der Einschätzung von Unternehmenskennern klar, wen Arnault in der Pole Position für seine Nachfolge sieht: Delphine.

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Aber: Ein Start von ganz vorne garantiert weder in der Formel 1 noch im Geschäftsleben einen Zieleinlauf an erster Stelle. Dies umso mehr, als es sich im realen Succession-Drama bei LVMH nicht um ein Kurzdistanzrennen handelt, sondern eher um eine Marathon-Ausmarchung.

Bernard Arnault lässt sich Zeit, das Können seiner Kinder zu beobachten

Bekanntlich liess Bernard Arnault die Altersguillotine in seinem Konzern bereits letztes Jahr von 75 auf 80 Jahre anheben, womit der heute 74-jährige König des Luxus einerseits klarmachte, dass er selbst noch lange nicht genug hat, und anderseits signalisierte, dass er sich Zeit lassen will, seine fünf Kinder zu beobachten. Man könnte von einer Bewährungsfrist für die Arnault-Kids sprechen. Oder von einem «darwinistischen Wettbewerb», wie es damals Luca Solca, Analyst bei der Investmentfirma Bernstein, formulierte.

Man mag ein solches «Survival of the Fittest» als unzeitgemäss missbilligen. Fakt aber ist: Es geht um viel, sehr viel. LVMH gehört zu den wertvollsten Unternehmen der Welt mit einer Börsenkapitalisierung von aktuell über 430 Milliarden Euro.

Ein solches Imperium übergibt man nicht einfach mal so. Sondern an die Richtige oder an den Richtigen. Und an jemanden, der für die Zukunft das Beste verspricht und nicht bereits in wenigen Jahren über die eigene Nachfolgeregelung nachdenken muss. Ergo ist die Verlängerung, die sich Patron Arnault gegönnt hat, insbesondere für seine beiden jüngsten Söhne, den 28-jährigen Frédéric und den 24-jährigen Jean, eine Chance.

Das Nachfolge-Drama bei LVMH konzentriert sich auf die Konzernaussenposten in der Schweizer Uhrenindustrie

Und die beiden scheinen wild entschlossen, ihre Chancen wahrzunehmen. Womit sich das Nachfolge-Drama bei LVMH in den kommenden Jahren nicht in erster Linie am Konzernsitz in Paris abspielen dürfte, sondern sich auf die helvetischen Aussenposten in der Uhrenindustrie konzentrieren könnte.

In den letzten Wochen hat sich vor allem der Benjamin der Familie, Jean Arnault, mächtig ins Zeug gelegt und weit über seine kleine Marke hinaus für Aufsehen gesorgt. Der Chef von Louis Vuitton Watches, der Uhrensparte des 20-Milliarden-Euro-Tankers Louis Vuitton, hat vor wenigen Tagen eine neue, radikale und mutige Strategie präsentiert, die mit der Vergangenheit regelrecht bricht. Arnault hat 80 Prozent der Modelle für immer verbannt, wird künftig die LV-Uhren nicht mehr als Einstiegsdrogen in die grosse, teure Welt der Modemarke anbieten, sondern nur noch uhrmacherisch ambitionierte Modelle mit deutlich fünfstelligen Preisen. Ob er damit die Herzen (und Portemonnaies) von Uhren-Afficionados gewinnt, bleibt abzuwarten. Genau wie die korrekte Antwort auf die Frage, ob er die klassischen Louis-Vuitton-Kundinnen und -Kunden, die ihr Geld für Lederwaren und Mode ausgeben, zu Uhrenkonsumenten machen kann.

Jean Arnaults Start in eine neue Uhrenwelt bei Louis Vuitton: die neue Tambour mit fünfstelligem Preisschild.

Jean Arnaults Start in eine neue Uhrenwelt bei Louis Vuitton: Die neue Tambour mit fünfstelligem Preisschild.

Quelle: ZVG

Wie nebenbei erweckt Jean Arnault zwei Uhrenmarken zu neuem Leben: Daniel Roth und Gérald Genta

Doch Jean Arnaults Ambitionen beschränken sich längst nicht auf die Marke Louis Vuitton, die letztes Jahr rund 130 Millionen Franken umgesetzt hat. Wie nebenbei hat er die Renaissance der Uhrenmarke Daniel Roth aufgegleist und durchgezogen. Sie geniesst bei Kennern und Sammlern einen hervorragenden Ruf.

Und ebenfalls fast en passant arbeitet der 24-Jährige an der Wiederbelebung der seit Jahren bloss schlummernden Marke Gérald Genta. Eben erst hat er für die Charity-Auktion Only Watch im Herbst eine ambitionierte Genta präsentiert, die von der Fachpresse bereits gelobt wird und wohl mehr als eine halbe Million Franken einspielen wird. Die Uhr kombiniert eine klingende Sonnerie mit einer spielerischen Zeitanzeige mit Disneys Micky Maus.

Besonders bemerkenswert an den beiden Marken-Relaunches ist nicht deren wohl bescheidenes kommerzielles Potenzial, sondern dass sie Arnault zusammen mit der LVMH-Marke Bulgari durchgezogen hat. Unter dem Dach des Römer Juweliers schlummerten die Uhrenbrands seit Jahren im Tiefschlaf, bis sie der junge Uhrenconnaisseur Arnault wieder wachgeküsst hat.

Damit ist klar: Der jüngste Arnault arbeitet nicht nur engagiert an seinem eigenen Vermächtnis im Konzern, sondern schreibt mit voller Energie an seinem eigenen Empfehlungsschreiben für weit höhere Aufgaben unter dem LVMH-Dach.

«Jean Arnault schreibt mit voller Energie an seinem eigenen Empfehlungsschreiben für weit höhere Aufgaben unter dem LVMH-Dach.»

Und vielleicht steht Jean Arnaults jüngste Parforce-Leistung im Zusammenhang mit personellen Veränderungen, die seinen vier Jahre älteren Bruder Frédéric im Nachfolge-Marathon in eine vorteilhafte Ausgangslage hieven könnten. Kürzlich berichtete die NZZ unter Berufung auf gut unterrichtete Quellen, dass Frédéric für höhere Weihen auserkoren worden sei. Bestätigt wurde das zwar nicht, aber plausibel ist es durchaus.

Stars in Schmuck von Bulgari: Anne Hathaway und Zendaya.

Stars mit Schmuck von Bulgari: Anne Hathaway und Zendaya sind die Aushängeschilder des Römer Luxushauses.

Quelle: Getty Images for Bulgari

Konkret könnte Frédéric Arnault, derzeit Chef der wichtigsten LVMH-Uhrenmarke TAG Heuer, auf den Chefposten von Bulgari wechseln. Der Juwelier, dessen Geschäft mit Schmuck weit grösser ist als das Business mit Uhren, ist einer der zentralen Pfeiler in der Strategie von Bernard Arnault, die Schmuck-Vormacht des Schweizer Rivalen Richemont zu brechen. Und bekannt ist der Branche, dass der erfolgreiche Chef von Bulgari, der 64-jährige Jean-Christophe Babin, eigentlich bereits daran ist, eine Ehrenrunde zu drehen und seit einer Weile daran denkt, den Chefposten abzugeben. Babin hat Bulgari seit 2013 zur klaren Nummer drei im Geschäft mit Luxusschmuck geformt, hinter der Richemont-Marke Cartier und der ebenfalls zu LVMH gehörenden Marke Tiffany (wo übrigens ein weiterer Sohn von Bernard Arnault, der 31-jährige Alexandre einen Spitzenposten bekleidet).

Frédéric Arnault hat ein Problem: TAG Heuer gewinnt zwar Umsatz, verliert aber Marktanteile

Doch selbst wenn Frédéric Arnault nicht zu Bulgari wechseln und bei TAG Heuer bleiben wird, hat auch er bereits gezeigt, dass er bestens begreift, wie das Geschäft mit Luxus heute und mit künftigen Generationen funktioniert.

Er hat Kooperationen mit dem Sportwagenhersteller Porsche aufgegleist. Er hat die mittelpreisige Marke in ein höheres Segment geführt. Er hat seinen Vater davon überzeugt, in Labordiamanten zu investieren und unmittelbar danach eine Uhr mit sechsstelligem Preisschild vorgestellt, deren Zifferblatt sozusagen aus Diamantstaub aus dem Labor besteht. Er hat von Fans vermisste, historische Modelle neu aufgelegt. Und er hat den Umsatz von TAG Heuer seit der Übernahme des Chefpostens Mitte 2020 von knapp 600 auf gegen 730 Millionen Franken gesteigert. Sein Problem aber ist: Im Gegensatz zu vielen Uhrenmarken liegt TAG Heuer noch weit hinter dem Umsatz zurück, den die Marke vor dem Pandemieknick gemacht hat. Im Klartext: TAG Heuer hat Marktanteile verloren.

Die Affiche also lautet: Jean versus Frédéric. Vater Bernard schaut genau hin. Und Schwester Delphine mit Sicherheit auch.

Marcel Speiser Handelszeitung
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