Länder wie Grossbritannien oder die USA, früher eigentliche Bannerträger des liberalen Gedankengutes, scheinen sich heute mehr und mehr dem Protektionismus hinzuwenden. Um die damit verbundenen Auswirkungen besser zu verstehen, lohnt es sich, den Aussenhandel eines Landes von verschiedenen Seiten zu betrachten. So können zum Beispiel Exporte für eine Volkswirtschaft von grosser Wichtigkeit sein, obschon ihr Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) gering ausfällt.

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Auch das Verhältnis zwischen dem Export von Waren und dem Export von Dienstleistungen spielt eine Rolle. So rechnet man heute gemeinhin mit einem Anteil von 20 Prozent, den der Export von Dienstleistungen zum gesamten Aussenhandel beisteuert. In Tat und Wahrheit dürfte dieser Anteil gut und gern bei 40 Prozent liegen. Wer sich also darüber beklagt, dass Arbeitsplätze wegen der Globalisierung verschwinden, sollte sich deshalb zuerst fragen, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist.

Der tertiäre Sektor generiert am meisten Arbeitsplätze

So generiert der Dienstleistungssektor in den Industrieländern heute rund 80 Prozent des jeweiligen BIP – in den USA wurde das produzierende Gewerbe bereits in den 1960er-Jahren überholt. Seither stellt der tertiäre Sektor die meisten neuen Arbeitsplätze, ohne dabei die Wertschöpfung und das allgemeine Wirtschaftswachstum zu beeinträchtigen. Dieser Trend zeigt sich in den meisten Industrieländern, auch wenn sie, wie etwa Deutschland, einen Leistungsbilanzüberschuss aufweisen.

China hinkt dieser Entwicklung hinterher, da das Land erst im Dezember 2001 der Welthandelsorganisation WTO beigetreten ist. Mit dem Beitritt zur WTO erschloss sich dem Land das enorme Potenzial des internationalen Marktes. So stieg die Zahl der Arbeitsplätz in der verarbeitenden Industrie zwischen 2003 und 2014 explosionsartig von rund 11 auf über 27 Millionen; der Anteil dieses Sektors an der Gesamtbeschäftigung (ohne die Arbeitsplätze in ländlichen Regionen) legte von 15 auf 20 Prozent zu. Zwischen 2000 und 2012 verdreifachte sich der Anteil Chinas am Welthandel, die USA hingegen verzeichneten während dieser Zeit einen Rückgang um 50 Prozent. Heute ist China der weltweit grösste Exporteur von Industriegütern, auf Rang zwei folgt die EU und auf dem dritten Platz die USA.

Die Globalisierung nicht zum Sündenbock machen

Diese gegenläufige Beschäftigungsentwicklung im Industriesektor weckt Ängste – oder Neid. Aktuell muss sie für die Parolen verschiedener Populisten und Globalisierungsgegner herhalten. Ob aller Rhetorik sollte man nicht vergessen, dass ein Kuchen insgesamt nicht kleiner wird, auch wenn man ihn in viele Stücke schneidet.

Mit Ausnahme von Phasen mit Rezession sind Exporteinbrüche eigentlich selten. Es sind weniger die rückläufigen Volumina, sondern vielmehr die unterschiedlichen Wachstumsraten, die den Exportanteil beeinflussen. Bei Dienstleistungen und der verarbeitenden Industrie verhält es sich genau gleich: Beide Sektoren wachsen, nur wächst der Dienstleistungssektor schneller.

So wuchsen die Exporte der USA in den letzten Jahren ebenfalls stark, jedoch steigerte Chinas sein Exportvolumen noch etwas rascher und verringerte damit den Anteil der USA am globalen Export. Mit rund 8000 US Dollar liegt das Pro-Kopf-BIP Chinas jedoch nach wie vor weit hinter dem von entwickelten Volkswirtschaften zurück. In den USA beträgt dieser Wert rund 56 000 Dollar, in der Schweiz sogar 80 000 Dollar.

Bei den neu geschaffenen Arbeitsplätzen in China handelt es sich deshalb nicht etwa um einen «Diebstahl» an den entwickelten Industrieländern, sie sind vielmehr auf unterschiedliche Phasen in der Entwicklung zurückzuführen. Dass Industrieländer tendenziell mehr Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor statt in der Industrie schaffen, ist ein Trend, der bereits Jahrzehnte vor Chinas Markteintritt begonnen hat.

Echte und unechte Wachstumsstrategien

Die sogenannte Globalisierung ist deshalb im Zusammenhang mit der Beschäftigungssituation eines Landes letztendlich kaum ein Problem des Aussenhandels, sondern eher die Folge einer Veränderung der Nachfrage im eigenen Land. So werden bei steigenden Einkommen prozentual mehr Dienstleistungen nachgefragt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei Industrieprodukten gespart wird, sondern nur, dass die Nachfrage nach Dienstleistungen rascher wächst als die Nachfrage nach Produkten.

Eine echte Wachstumsstrategie für die Industrieländer bestünde somit darin, sich auf den Dienstleistungssektor zu konzentrieren, da er vier Mal grösser ist als die industrielle Produktion und deutlich rascher wächst. Wer die Industrie statt den Dienstleistungssektor fördert, nimmt ein langsameres Wirtschaftswachstum in Kauf. Stark aussenhandelsorientierte Länder sollten ebenfalls auf Dienstleistungen setzen. In diesem Sektor sind die USA nach wie vor die grösste Exportnation weltweit.