Zur Person:

Manfred Stüttgen ist Professor für Banking am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern. Als Projektleiter betreut er die jährliche IFZ Sustainable Investments Studie und forscht zu «Sustainable Investments». Der frühere Grossbanker ist Mitautor des Buchs «Nachhaltig investieren. Grundlagen – Strategien – Umsetzung».

Wie stark interessieren sich Schweizer Vermögensverwalter für den Aspekt «biologische Vielfalt» bei ESG-bezogenen Investments?

Manfred Stüttgen: Bei Schweizer Asset Managern und auch bei Schweizer unabhängigen Vermögensverwaltern ist das Thema aktuell noch wenig präsent. Die Datenlage auf Seiten von Unternehmen der Realwirtschaft ist äusserst bescheiden im Bereich «Biodiversität», so dass sich das Thema in der Finanzindustrie auch nicht leicht umsetzen lässt: Vielfach mangelt es an eindeutigen Definitionen und unternehmensseitig an Reportingsystemen. 

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Was bedeutet dies in Zahlen ausgedrückt?

Bei Schweizer Retailfonds sind per Ende Juni 2022 weniger als 1 Prozent aller nachhaltigen Fonds eindeutig thematisch fokussiert auf das Thema Biodiversität. 39 Prozent aller nachhaltigen Schweizer Retailfonds nehmen aber in Anspruch, «nachteilige Nachhaltigkeitswirkungen» mit Bezug zu Biodiversität bei Investments in Unternehmen zu berücksichtigen. 

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Unterscheiden sich Vermögensverwalter und Fondsmanager in ihrem Anlagefokus?

Schweizer unabhängige Vermögensverwalter sind generell weniger aktiv auf dem übergeordneten Thema «Nachhaltigkeit/ESG», verglichen mit Schweizer Asset Managern bzw. Fonds Managern. Entsprechend dürfte die Anzahl der unabhängigen Vermögensverwalter, die sich speziell mit Biodiversität als Anlagethema beschäftigen, noch geringer ausfallen als im Fondsbereich. Es handelt sich mit anderen Worten um eine sehr kleine Nische innerhalb der Nische «nachhaltige Anlagen». Genaue Zahlen für Schweizer unabhängige Vermögensveralter liegen hier jedoch meines Wissens bisher nicht vor.

Wie sieht das international aus?

Die EU-Gesetzgebung hat das Thema bereits aufgenommen – als sechstes (von sechs) Umweltzielen im Rahmen der EU-Taxonomie. Und als einen von 64 Indikatoren, die Fondsmanager in der EU künftig im Rahmen der EU-Offenlegungsrichtlinie SFDR transparent ausweisen müssen. Aus diesen Gründen dürfte das Thema «Biodiversität» auch für Schweizer Vermögensverwalter künftig an Bedeutung gewinnen.

Impact Fonds mit Schwerpunkt «Biodiversität» gibt es bisher nur sehr vereinzelt.

Professor Manfred Stüttgen

Welche Art von Investments mit Blick auf ESG überwiegen aktuell?

Bei nachhaltigen Themenfonds sind Fonds mit Schwerpunkt «Umwelt/Klima» zahlenmässig am häufigsten vertreten. Sogenannte Impact Fonds mit Schwerpunkt «Biodiversität» gibt es bisher nur sehr vereinzelt. Schweizer unabhängige Vermögensverwalter selektieren ihre Anlagen am häufigsten basierend auf Screenings – also durch eine thematische Selektion oder eine «Best-in-Class»-Auswahl.

Chance für Investitionen

Der Schutz der biologischen Vielfalt bietet gemäss dem Global Industry Solutions Outlook der Allianz-Tochter AGCS von April 2023 enorme Chancen für Investitionen.Die Finanzierungslücke zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt bis 2030 wird laut Allianz Research auf 711 Millarden US-Dollar pro Jahr geschätzt.

Wie renditestark können solche Investments eingeschätzt werden?

Gemäss wissenschaftlichen Metastudien rentieren nachhaltige Investments gleich gut oder besser als konventionelle Fonds. Allerdings gibt es immer wieder zeitliche Phasen oder Weltregionen, die eine Ausnahme zu dieser Regel darstellen.

Wie langfristig muss investiert werden, damit sich ESG-Investments lohnen?

Das hängt vom persönlichen Risikoprofil des Investors ab und seiner angestrebten Vermögensallokation – also, ob Geld in Aktien, Anleihen oder Immobilien angelegt werden soll. Tendenziell ist der Anlagehorizont vergleichbar langfristig wie bei konventionellen Investments.

Die Kontrolle umweltsozialer Risiken hat für Unternehmen oft wesentliche finanzielle Auswirkungen. Diese Risiken müssen Unternehmen künftig immer besser managen

Professor Manfred Stüttgen

Die Integration von ESG-Aspekten in alle Geschäftsaspekte wird laut einer Studie der Allianz-Tochter AGCS zu einem wichtigen Leistungsindikator für die finanzielle Gesundheit eines Unternehmens und seine Fähigkeit den Übergang zu einer grünen Wirtschaft zu unterstützen. Was ist Ihre Einschätzung?

Grundsätzlich dürfte es tatsächlich in diese Richtung gehen: Die Erwartungen der verschiedenen Anspruchsgruppen an Unternehmen steigen und die Regulierung von Unternehmen wird immer feinmaschiger. Unternehmen werden dazu gezwungen, externe Kosten – zum Beispiel bei Naturkapital oder Sozialkapital – immer mehr zu internalisieren.  Zu diesem Zweck bauen unternehmen entsprechende Berichts-, Controlling- und Reportingsysteme auf. 

Die Kontrolle umweltsozialer Risiken hat für Unternehmen oft wesentliche finanzielle Auswirkungen. Diese Risiken müssen Unternehmen künftig immer besser managen, sonst wird es für sie tatsächlich schwierig(er), finanzielles Kapital oder auch Talente anzuziehen und die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen.