Immer erreichbar, überall präsent, auf allen Kanälen: Die Schweizer sind mit Nachdruck auf dem Weg ins digitale Zeitalter. Das war schon vor dem Beginn der Pandemie so und hat sich während der verschiedenen Abriegelungsphasen weiter verstärkt. «Es zeigt sich, dass Schweizer Konsumenten anspruchsvoller werden – die Erwartungen an die Omnichannel-Services von Händlern sind insgesamt gestiegen», heisst es in einer Studie von Mindtake, die im Juni vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Demnach hat der Detailhandel schon deutliche Fortschritte in Richtung Omnikanal gemacht, allen voran Bau und Heimwerkermärkte, Schmuck- und Uhrenhändler sowie Warenhäuser. Lebensmittelhändler, Drogerien sowie Buch- und Musikhändler können ihre Omnichannel-Fähigkeit hingegen noch weiter ausbauen. Auf dem von Mindtake zusammen mit dem Handelsverband Swiss und Google errechneten Omni-Channel-Readiness-Index liegen sie am Ende der Skala. 

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Bessere Abstimmung der Vertriebskanäle

Omnichannel bedeutet, dass die Kunden auf allen erdenklichen Kommunikations- und Transaktionskanälen ihre Kauf- und Servicewünsche erfüllen können, vom «Backstein und Mörtel»-Laden, wie amerikanische E-Commerce-Verfechter den stationären Vertrieb nennen, über Telefon- und E-Commerce bis hin zur Smartphone-App. «Konsumenten erwarten zunehmend eine Verzahnung der Kanäle», heisst es in der Mindtake-Studie. 49 Prozent von 1000 befragten Deutsch- und Welschschweizern wünschen sich Click & Collect mit Abholung von Waren in den Filialen des Händlers (2018: 44 Prozent), 41 Prozent ist es wichtig, die Ware auch an Abholstellen abholen zu können (2018: 35 Prozent). 

Privilegierte Stellung der Generalagenten

Obwohl bei Versicherern das Problem der Warenübergabe viel einfacher zu lösen ist als im Detailhandel, ist der Omnikanal hier nur rudimentär entwickelt. Sieben bis neun Privatversicherungsprodukte bieten Versicherer wie die Mobiliar, die Zurich und die Axa online an, vom Auto und anderer Fahrhabe über Privathaftpflicht bis hin zur Reiseversicherung und Hausratversicherung. Es ist den heimischen Versicherern deutlich anzumerken, dass sie davor zurückscheuen, an der privilegierten Stellung der Generalagenten zu rütteln. «Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, wann persönliche, also nicht automatisierte Kontakte auch für ein ertragsstarkes Assekuranz-Unternehmen sinnvoll sind», sagt Nils Hafner, Professor an der Hochschule Luzern. «Das hängt primär davon ab, bei welchen Kontakten Kunden Rat und Unterstützung zu ihrer Absicherung benötigen und bei welchen Kontakten eine Versicherung gleichzeitig etwas verkaufen oder lernen kann oder wo ein persönlicher Kontakt einfach kostengünstiger ist.»

Omnichannel ist mehr als 24/7

Generalagenten fehlt für einen Omnichannel-Vertrieb sowohl Grösse als auch technische Reife. Omnichannel bedeutet mehr als 24 Stunden am Tag an sieben Tagen der Woche auf allen Kanälen Kunden zu bedienen. Zu den Qualitätsmerkmalen gehören umfangreiche Transparenz über den Verkaufsprozess und den Lieferungsstatus sowie vielfältige Bezahloptionen. Während die meisten Versicherer noch technologische Vorbereitungen treffen, ist die Baloise bereits einen Schritt weiter. Alexander Bockelmann (LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/dbockelmann/?originalSubdomain=ch), CTO des Basler Versicherers, schraubt derzeit an der Omnikanal-Kundenreise, um sie zu optimieren. Während andere Versicherer sich noch mit Produktrechnern auf ihren Websites begnügen, hat die Baloise bereits Antragsstrecken für mehr als 50 Produkte aus ihrem gesamten Allfinanzportfolio online, inklusive Lebensversicherung und Hypothekarkredit. Eine neue App soll jetzt auch bei der Schadenregulierung mehr Nachvollziehbarkeit für den Kunden bringen und gleichzeitig die Effizienz steigern.

Technologischer Aus- und Umbau nötig

Doch um dies branchenweit zu erreichen, ist ein umfangreicher technologischer Aus- und Umbau nötig. Mit Service Kunden begeistern? Davon ist die Schweizer Assekuranz noch weit entfernt. Auf dem deutschen Markt sind die Versicherer trotz erheblichen Investitionen in ihre CRM-Systeme auch nicht viel weiter. Das Produktangebot auf den Internetseiten ist zu kompliziert, kein Versicherer hat sein gesamtes Angebot online, es dauert zu lange, bis die Websites laden, bemängelt die Beratungsgesellschaft McKinsey in einer Studie. Jeder zweite Kunde verlässt eine Website, wenn sie mehr als drei Sekunden benötigt, um zu laden. Die durchschnittliche Ladezeit der Produktseiten deutscher Versicherer beträgt jedoch 3,2 Sekunden. 

Emotionale Aspekte technisch umsetzen

Dass die Schweizer ihre Versicherungen zwar beim Generalagenten kaufen, zuvor aber durchaus im Netz einmal nachschauen, bestätigt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Link. «Versicherer sollten nicht den Fehler machen, sich einseitig auf Generalagenten zu verlassen», sagt Michal Trochimczuk von Sollers Consulting. Es gebe eindeutig ein Verhalten nach dem Muster «research online, purchase offline», kurz Ropo. «Kundenerfahrung sollte nicht vom Vertriebskanal abhängen.»

Abkehr von einer Mehr-Marken-Strategie

Für das Marketing ergibt sich daraus die konsequente Abkehr von einer Mehr-Marken-Strategie, wie das beispielsweise die Allianz in Deutschland umsetzt. Das neue Markengefühl zu definieren, durchzusetzen und umzusetzen ist eine sehr herausfordernde Aufgabe für die Versicherer, geht es doch letztlich darum, die DNA des eigenen Unternehmens auf den Prüfstand zu stellen und weiterzuentwickeln. Die qualitativen und emotionalen Aspekte müssen gleichzeitig in konkreten Geschäftsprozessen umgesetzt werden, um glaubwürdig zu sein. Omnikanal verfolgt den Anspruch, das Einkaufserlebnis für die Kunden denkbar angenehm zu gestalten; für die Versicherer ist der Weg dahin kein Sonntagsspaziergang.