Eine Punktprognose auf Jahresende ist zwar unmöglich. Finanzmarktprognosen sind ohnehin nur eine simple Form der Kontrollillusion. Aber es existieren eine Reihe sehr bewährter Indikatoren, die wenigstens eine effiziente mittelfristige Navigation im dichten Nebel ermöglichen. Und demnach sehen wir ganz klar keine unmittelbare Gefahr eines Absturzes. Zumindest im Moment gibt es verschiedene Lichtblicke. Für Anleger wäre es also verfrüht, ihr Portfolio-Risiko jetzt deutlich zu reduzieren.

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Blick auf Geldmultiplikatoren erkenntnisreich

Zunächst lohnt sich ein Blick auf die monetäre Ausgangslage des Systems und hier besonders auf die Entwicklung der extrem bedeutsamen Geldmultiplikatoren. Ein interessanterweise wenig beachteter Indikator, der von niemandem manipuliert werden kann (auch von den Notenbanken nicht) und dem damit höchste Aussagekraft zukommt.

Geldmultiplikatoren sind ein Mass für die Geldschöpfungskraft des privaten Bankensystems. Sie zeigen, was der private Kreditkreislauf aus dem von der Notenbank zur Verfügung gestellten Geld macht. Insbesondere umfassen die Geldmultiplikatoren Teile der Kreditvergabe der Banken an private Investoren und Unternehmer.

Der Geldmultiplikator in den USA steigt schon seit drei Jahren, während sich Europa nach einem langen, gefährlichen Rückgang jetzt stabilisiert und sogar nach oben dreht. Nur Japan ist noch etwas zögerlich. Dieser Anstieg erfolgt trotz zunehmend restriktiverer Geldpolitik der Notenbanken. Oder anders formuliert: Das Geld, welches die Zentralbank aus dem Kreislauf entfernt, wird durch die Kreditschöpfung der privaten Banken mehr als kompensiert. Das ist extrem positiv.

Notenbanken sind auf Kurs, Inflationserwartungen unter Kontrolle

Daneben lohnt ein Blick auf den «Natürlichen Zinssatz». Wenn die kurzfristigen Zinsen genau diesem theoretischen Satz entsprechen, sind das konjunkturelle Wachstum, die Inflation und der Arbeitsmarkt in einem gesunden Gleichgewicht. Sind die Zinsen höher, entsteht eine Bremswirkung und umgekehrt.

Aktuell liegen die Fed Funds nach Schätzung der Zentralbank noch ganz leicht darunter, aber nahe am Gleichgewicht. Ähnliches gilt für Europa und China. Damit sind die Notenbanken auf Kurs, also weder zu expansiv noch zu restriktiv. Die Inflationserwartungen bleiben ebenfalls unter Kontrolle. Selbstverständlich wäre ein expansiverer Kurs kurzfristig noch besser für die Börsen. Immerhin helfen diesbezüglich aber die oben erwähnten steigenden Geldmultiplikatoren aus, weil sie eine monetäre Lockerung bewirken.

Die Zinskurve: fast so gut wie ein Blick in die Glaskugel

In Kombination mit dem extrem starken US-Arbeitsmarkt ergibt sich aus dem oben Erwähnten insgesamt ein optimales Gleichgewicht zwischen Wachstum, Geldversorgung und Preisniveau. Sämtliche dieser Entwicklungen werden zudem im Verhalten der Zinskurve auf den Punkt gebracht: Seit mehr als 70 Jahren wurde jede Rezession durch eine vollständige Abflachung (oder sogar Inversion) der Zinskurve rechtzeitig angekündigt, das heisst die langfristigen Zinsen waren auf dem gleichen Zinsniveau wie das kurze Ende (oder sogar darunter).

Dies ist aber zumindest im Moment noch nicht der Fall. Die Zinskurven werden zwar sowohl in den USA wie auch Europa flacher, was sehr gefährlich ist. Aber das Rezessionssignal ist damit noch nicht gegeben. Die Steilheit (oder Flachheit) der Zinskurve ist somit nichts anderes als ein Indikator für das Zusammenspiel von Geldanbietern und Geldnachfragern. Darum sind diese Veränderungen so fundamental und aussagekräftig.

Bevor es zum Absturz der Konjunktur und einer langfristigen Baisse an den Märkten kommt, müssten sich zuerst die hier erwähnten Indikatoren verschlechtern, insbesondere die Zinskurven. Es müssen von den Notenbanken deutliche Fehler (sogenannte «Policy Mistakes») in Form einer Entfernung vom «Natürlichen Zinsniveau» gemacht werden, die das Gleichgewicht durcheinanderbringen. Das war zumindest bisher meist der Auslöser für Krisen.

Es gibt auch keine grösseren Fehlbewertungen oder gar Blasen – weder am Aktien- noch am Kreditmarkt. Dies rundet den Katalog an Lichtblicken ab.

Somit zeigt unsere Navigation im Augenblick, dass auch nach zehnjährigem Aufschwung das Wirtschafts- und Finanzsystem noch ganz gut in einem Gleichgewicht ist, welches sich zwar von Zeit zu Zeit auf einem leicht anderen Niveau einpendeln muss. Dies ist in der Regel von erhöhter Volatilität begleitet, aber eben meist nicht der Anfang vom Ende. Für Bremsmanöver ist es also noch zu früh.

*Beat Thoma, Chief Investment Officer bei Fisch Asset Management