Die Zentralbanken haben die Weltwirtschaft jahrelang mit ihrer ausgeprägten Niedrigzinspolitik unterstützt. Werden sie an dieser ultralockeren Politik festhalten? Oder werden sie sich stattdessen für eine allmähliche Normalisierung ihrer Geldpolitik entscheiden, nachdem sie über ein Jahrzehnt lang alles daran gesetzt haben, ein Abrutschen in die Depression abzuwenden?  

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40 Jahre Disinflation  

Seit die Inflation 1980 in den Industrieländern ihren Höhepunkt markierte, sind die Teuerungsrate und die Zinsen vierzig Jahre lang zurückgegangen, bis hin zur Deflation. In Europa erlebten wir sogar jahrelang ein zuvor unvorstellbares Negativzinsklima. Natürlich gab es auch phasenweise Preisschübe, so etwa 2011 und 2018. Diese waren allerdings nur von kurzer Dauer.
 

Über den Autor

Frédéric Leroux ist Head of the Cross Asset Team und Fondsmanager bei Carmignac. Er studierte am Institut d’Économie Scientifique et de Gestion (IÉSEG) in Lille, Frankreich.    

Die Disinflation der vergangenen vierzig Jahre wurde durch eine sehr starke Lohnkonkurrenz aus Schwellenländern, eine verstärkte Produktionsverlagerung auf bestimmte Regionen und die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf wenig qualifizierte Arbeitsplätze in den Industrieländern ermöglicht.

Viele deflationäre Kräfte wirken weiter  

Diese deflationären Kräfte existieren nach wie vor. In Verbindung mit der Überalterung der Bevölkerung und einer in der Nachkriegszeit beispiellosen Verschuldung der Weltwirtschaft sind sie die am häufigsten angeführten Gründe für die Annahme, dass die derzeitige Inflation nur vorübergehend ist.

Wenngleich das Wiederhochfahren der Weltwirtschaft nach der Corona-Krise den Preisanstieg aufgrund von Versorgungsengpässen (Halbleiter, Arbeitskräfte) oder der Unterbrechung von Lieferketten gefördert hat, spricht die Tatsache, dass das Ende dieser Engpässe absehbar ist, für eine bloss vorübergehende Inflation.  

Allerdings gibt es auch ein alternatives Szenario. Denn zwei voneinander unabhängige Dynamiken könnten eine dauerhaftere Inflation bewirken.  

Energiepreise werden weiter steigen  

Die erste Dynamik sind die Strom- und Energiepreise. Die Energiewende hat zu einem Rückgang der Investitionen in fossile Brennstoffe geführt, die sich anscheinend nicht so leicht ersetzen lassen wie erwartet.

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Der Anstieg der Öl-, Gas- und Kohlepreise wurde hierdurch noch verstärkt, und zwar auch aufgrund der jüngsten klimatischen Ereignisse, die zu einem Produktionsrückgang führten. Ein strenger Winter könnte diesen Energiepreisschub verschärfen und verlängern.

Kommt Lohn-Preis-Spirale in Gang?  

Die zweite Dynamik beobachten wir aktuell auf dem US-Arbeitsmarkt. Dank der aufgelegten Sozialprogramme haben die US-Haushalte 2 Billionen US-Dollar an überschüssigen Ersparnissen und damit 11 Prozent des BIP angehäuft. Vor diesem Hintergrund können Arbeitnehmer ihre Rückkehr an den Arbeitsplatz in aller Ruhe verhandeln.

Damit haben sie erstmals seit über vierzig Jahren bei Lohnverhandlungen die Oberhand, da die Unternehmen Arbeitskräfte benötigen, um ihre Auftragsbücher abzuarbeiten.

Infolgedessen sind die Gehälter im Privatsektor in den letzten zwölf Monaten global um 5,5 Prozent gestiegen und damit so stark wie zuletzt 1982. Gleichzeitig sinkt die Erwerbsquote in einer Zeit, in der es mehr Stellenangebote gibt als je zuvor. Ist dies vorübergehend oder eher dauerhaft?

Angesichts der auslaufenden Sozialprogramme, des Schulanfangs (der die Eltern von der Kinderbetreuung befreit) und der nachlassenden Bedrohung durch das Coronavirus in den USA werden wir es in den nächsten Monaten erfahren.

Vorbei mit grosszügigen Notenbanken  

Von einer dauerhaften Inflation auszugehen, gleicht nach wie vor einer Wette mit geringer Erfolgsaussicht. Allerdings sollten die Zentralbanken dieser Hypothese ihre Aufmerksamkeit schenken. Sie sind nach wie vor davon überzeugt, dass die Entscheidung, den Liquiditätshahn auf- oder zuzudrehen, allein bei ihnen liegt.

Sollte sich die derzeitige Inflation als dauerhaft erweisen, würde dies erneut die Höhe der Zinssätze bestimmen und die Zentralbanken müssten das Zepter aus der Hand geben und reagieren. Die Zeiten, in denen die Zentralbanken uns bei der kleinsten wirtschaftlichen Abkühlung zu Hilfe eilen, wären vorbei. Wir könnten also einen echten Paradigmenwechsel erleben.    

Da die Wahrscheinlichkeit einer solchen Rückkehr der Inflation zwar gering ist, aber dennoch besteht, sollten wir den potenziellen Folgen für uns Sparer und Anlegerinnen durchaus Beachtung schenken.  

Viele Fragen offen?  

Wie würden Lebensversicherungen in Euro vor dem Hintergrund steigender Anleihezinsen reagieren? Würden Geldmarktprodukte wie Sparbücher oder Sparpläne der Banken nicht eine starke Konkurrenz zu Anleihen darstellen? Könnten beliebte Wachstumswerte, also Unternehmen, die ihre Gewinne unabhängig vom Wirtschaftswachstum steigern und oft die Basis der Portfolios bilden, ihre hohen Bewertungen aufrechterhalten? Und was ist mit Gold oder dem Immobilienmarkt?