Was bringt der Führungswechsel in den USA von Trump zu Biden?

Theodor Winkler: Wieder Diplomatie statt Rowdytum.

                                                                                       

Wird es zu fundamentalen Veränderungen kommen?

Mit Joe Biden ändert nicht alles von Grund auf. Die Republikaner werden im Senat in der Mehrheit sein und mit aller Vehemenz versuchen, Biden Prügel zwischen die Beine zu werfen. Er ist in erster Linie mit inneramerikanischen Problemen beschäftigt. Aber er hat einen anderen Ansatz. Er wird bekräftigen, nicht aus der Nato auszutreten, was Donald Trump möglicherweise gemacht hätte. Die nordatlantische Partnerschaft wird so gestärkt – sie führte immerhin zur längsten Friedenszeit auf dem europäischen Kontinent. Und Polen und Ungarn stehen jetzt nach Trumps Abwahl ohne amerikanisches Vorbild da. Kommt hinzu, dass Biden als Befürworter der EU die Handelskriege mit Europa beenden wird. Das wird auch das Handelsdefizit von Amerika gegenüber Europa besänftigen.

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Das tönt ja alles gar nicht so schlimm.

Europa kann tatsächlich ein wenig aufatmen. Ohne Trump dürfte auch der Brexit weniger hart ausfallen.

 

Und wo steht die Schweiz?

Als der Kalte Krieg ein Ende fand, sah sich die Schweiz von Freunden umzingelt, heute von immer grösser werdenden Problemen. Genf als internationales Zentrum wird wieder an Bedeutung gewinnen. Trump hatte keine aussenpolitische Vision; für ihn zählte nur «America first». Die UNO hat mit Biden wieder einen objektiven Partner. Davon profitiert Genf, wo über ein Dutzend UNO-Spezialorganisationen und Hunderte von Nichtregierungsorganisationen sich um so entscheidende Fragen wie Klimawandel oder Pandemieverhütung kümmern. Ich gehe auch davon aus, dass die USA dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten werden.

 

Das heisst: Das Land wird wieder offener für multilaterale Lösungswege.

Davon gehe ich aus. Und Genf bietet sich für vertrauliche Sondierungen von Spezialisten und Diplomaten geradezu an. Mit der Maison de la Paix, den drei Zentren des Bundes sowie der Geneva Internet Platform bestehen optimale Instrumente. Themen gibt es zur Genüge. Beispielsweise die Frage, wie ein Auseinanderbrechen des Internets und ein Kalter Krieg der USA mit China im Bereich der IT verhindert werden oder wie die Früherkennung einer Pandemie verbessert werden könnte. Gerade bei Cyberkommunikationstechnologien hat Genf mit der ITO (Internationale Handelsorganisation) eine hervorragende Position.

 

Sie tönen einen neuen Kalten Krieg an.

Die nordatlantische Gemeinschaft, auf deren Sicherheit die Existenz unseres Umfeldes aufbaut, ist unter Druck. China probiert sozusagen, den Westen zu ersetzen. Es ist ein neuer Kalter Krieg. Er hat schon angefangen. Biden wird ihn mit gleich grosser Entschlossenheit, aber anderer Rhetorik weiterführen. Im Kern geht es um moderne Technologie, Cyber und künstliche Intelligenz. Um Huawei, Tiktok. Um gleich lange Spiesse.

 

Der Reihe nach.

China ist klar daran, sich als Weltmacht durchzusetzen. Es baut seine Macht gezielt und systematisch aus. Xi Jinping ist überzeugt, dass das westliche Modell am Ende ist, es nur die Reichen noch reicher und die Armen ärmer gemacht hat und dass sich nationalstaatliche Tendenzen durchsetzen. Mit seinem gigantischen Projekt «One Belt, One Road» setzt er sich in kolonialer Manier in weiten Teilen der Welt, hauptsächlich in Afrika und anderen rohstoff-reichen Gegenden, fest. Im eigenen Land baut er einen perfekten elektronischen Überwachungsstaat auf mit über 600 Millionen Kameras mit Gesichtserkennung, er unterdrückt nationale und religiöse Minderheiten wie die Tibeter und Uiguren. Und bis zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Volksrepublik im Jahr 2049 will er Hongkong, Taiwan, die Süd- und Ostchinesische See, die japanischen Senkaku-Inseln und grosse Teile des Himalajas wenn nötig mit militärischen Mitteln einkassieren. China hat das zweitgrösste Verteidigungsbudget der Welt.

Der Vordenker

Theodor Winkler (69) war jahrelang als hoher Berater im Schweizer Militär- und Aussendepartement aktiv. Der frühere Direktor des Genfer Zentrums für demokratische Kontrolle von Streitkräften ist Mitbegründer der Maison de la Paix in Genf und hat ein aktuelles Buch über die nach wie vor unsicheren Zeiten in einer multipolaren Welt geschrieben, in der sich die Staaten kaum mehr internationalen Regeln verpflichtet fühlen: «Living in an Unruly World». 2017 schrieb er das Buch «The Dark Side of Globalization. And How to Cope with It», in dem er vor Pandemierisiken warnte.

Theodor Winkler
Quelle: Keystone

Ist Chinas Weg an die Spitze in Stein gemeisselt?

Xi Jinping will die Weltherrschaft. Aber Chinas Wirtschaft ist nicht dort, wo sie sein sollte. Die Transformation von einer Industrie in eine Dienstleistungsgesellschaft harzt. Das Land hat ein Problem mit der Überalterung. Und China hat zwar die meisten Milliardäre, aber auch Hunderte von Millionen Menschen ohne wirtschaftliche Perspektiven. Xi Jinping lebt nicht ewig. Ob er 2049 noch erlebt, weiss ich nicht. Wenn es Amerika gelingt, in der Tradition eines Woodrow Wilson in der Werteordnung wieder klar die Führung auf dieser Welt an sich zu reissen, und der Westen wieder erstarkt, wird sich Xi Jinping eine militärische Attacke in Taiwan zweimal überlegen.

 

Welche Rolle spielt denn Russland?

China versucht, den Westen zu ersetzen, und Russland versucht, den Westen zu bedrängen. Putin will die alte Sowjetunion wieder aufleben lassen. Dabei greift er auch auf militärische Mittel zurück. Das zeigen die Annexion der Krim und der Einmarsch der sogenannten kleinen grünen Männer in die Ostukraine. Putin rüstet auch fortlaufend auf. Als die USA Raketenabwehrraketen in Osteuropa ankündigten, hat er prompt mit neuen Mittelstreckenraketen, insbesondere der Iksander, reagiert. Das verstösst klar gegen den russischamerikanischen Vertrag über das Verbot von Mittelstreckenraketen. Und jährlich lässt er seine Wostock-Manöver mit über 350 000 Mann durchführen, bei denen kein OSZE-Beobachter eingeladen ist. Doch Putin kann nur auf militärische Mittel setzen, wirtschaftlich ist Russland nach wie vor ein Entwicklungsland. Oder wie es Helmut Schmidt sagte: ein Lesotho mit Kernwaffen. Das Land ist nach wie vor auf Rohstoffexporte, vor allem von Öl, angewiesen.

 

Es braucht also keine grossen Anstrengungen der USA, um Gegengewicht zu geben?

Das kann man so sagen. Und auch die Angst der Bevölkerung in den baltischen Staaten nimmt jetzt ab: Dort wurde befürchtet, dass Putin russische Minderheiten im Baltikum aufwiegelt wie in der Krim und in der Ukraine und ebenfalls «kleine grüne Männer» schickt. Das wird jetzt nach den Wahlen in den USA unwahrscheinlicher.

 

Ein Pulverfass bleibt der Iran.

Trump machte den Iranern das Leben zur Hölle. Amerika unter Biden wird zusammen mit den Europäern versuchen, zu einer neuen vertraglichen Regelung zu kommen. Dabei wird die Schweiz ganz sicher auch eine Rolle spielen – sie nimmt im Iran die amerikanischen Interessen wahr.

 

Dann bleiben noch Kim Jong-un und Erdogan.

Kim Jong-un hat gesehen, wie es al-Gaddafi und anderen ergangen ist. Und Erdogan wird sich mässigen, wenn die USA in der Weltordnung wieder an Gewicht gewinnen und wenn Themen wie UNO, Rechtsstaatlichkeit und Diplomatie wieder in den Vordergrund rücken. Aber es gibt noch andere Herausforderungen. Wir stehen vor gewaltigen strukturellen Problemen. Sorge macht mir die explodierende Bevölkerung Afrikas. Sie wird von heute 1,2 Milliarden bis 2100 auf 4,4 Milliarden zunehmen. Wer gibt diesen Menschen Arbeit? Wer ernährt sie? Das wird zu einem noch nie dagewesenen Migrationsdruck führen. Ob Kriege, Flüchtlingsströme oder die Corona-Pandemie: Wir tun gut daran, uns mehr und aktiv für friedensfördernde Projekte einzusetzen. Sonst gibt es immer mehr Verlierer.