Zeit, den Tatsachen ins Auge zu blicken: Unser Ernährungssystem ist weder nachhaltig noch gesund. Wir produzieren und essen zu viel Fleisch, verschwenden zu viele Lebensmittel und treiben unseren Planeten damit in die Krise. Und wer trägt die Schuld? Die Landwirte, die ihr Vieh mit Monokultur-Soja aus Brasilien füttern und die Biodiversität zerstören? Die Lebensmittelindustrie, die weiterhin zu viel Salz, Fett und Zucker in ihre Produkte mischt? Einzelhändlerinnen und Gastronomen, die uns alle Arten von ungesundem und nicht nachhaltigem Kram für wenig Geld verkaufen? Oder die politischen Entscheidungsträger, die es aufgrund ihrer Interessenkonflikte versäumen, den Markt effektiv zu regulieren?

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Man ahnt es, wir können keinen einzelnen Player verantwortlich machen. Nicht umsonst spricht man von einem Ernährungssystem mit gegenseitigen Abhängigkeiten. Dennoch ist klar, dass wir als Konsumentinnen die Schlüsselrolle bei der Transformation spielen. Denn als Gruppe – nicht auf individueller Ebene – haben wir die Macht, über unsere Konsumentscheidungen die Lebensmittelindustrie dazu zu bewegen, umweltfreundlichere Ansätze zu verfolgen. Ändern wir unser Verhalten nicht, wird sich auch sonst kaum etwas ändern.

Die Autorin

Christine Schäfer, Senior Researcher, Gottlieb Duttweiler Institut

Allerdings sind wir nur zu oft überwältigt von der Zahl täglicher Entscheidungen und fühlen uns wie hilflose Spielfiguren der Lebensmittelindustrie. Auch sind wir die widersprüchlichen Informationen leid, was nun gut für uns sei und was nicht. Und warum um alles in der Welt sind gesunde und nachhaltige Optionen so viel teurer als stark verarbeitete Fertiggerichte, die unserem Körper und unserem Planeten schaden?

 

Zur Nachhaltigkeit verführen

Die Macht unserer kollektiven Konsumentscheidungen bedeutet indes nicht, dass wir allein für den Wandel verantwortlich sind. Landwirtschaft, Industrie, Handel und Politik stehen mindestens so sehr in der Pflicht – nämlich die Konsumenten zu nachhaltigeren und gesünderen Entscheidungen zu verführen. Richtig gelesen, verführen. Denn rationale Argumente bringen im emotionalen Ernährungskontext wenig. Industrie und Handel können uns aber mit unwiderstehlichen Angeboten die Wahl von nachhaltigen und gesunden Lebensmitteln erleichtern. Damit wir nicht ständig zwischen dem entscheiden müssen, was gesund, was nachhaltig, was bezahlbar oder was bequem ist.

Rationale Argumente bringen im emotionalen Ernährungskontext wenig.

Für Landwirte, Lebensmittelindustrie, Händlerinnen und die Gastronomie bedeutet Verführung, attraktive, nachhaltige und gesunde Optionen zu schaffen, die nicht mit einem Preisaufschlag verbunden sind. Beispiel Fast Food: Ein pflanzlicher Bio-Burger, der genauso günstig, schmackhaft und zufriedenstellend ist wie sein Pendant aus Fleisch? Lecker! Oder eine simple Umkehrung von Standards, sodass es in Zukunft zum Beispiel heisst: «Normal oder mit Fleisch?» Dies würde es den Konsumenten leichter machen, eine nachhaltigere Wahl zu treffen, ohne auf Geschmack oder Convenience verzichten zu müssen.

Den grossen Rahmen für Konsumentscheide setzen politische Entscheidungsträgerinnen und Regierungen. Sie können das Angebot beeinflussen – etwa mit der Einführung von Preisen, welche die externen Kosten der Lebensmittel widerspiegeln. Diese sogenannten True Costs berücksichtigen auch Umweltzerstörung, Tierleid, Verlust der Biodiversität, gesundheitliche Folgen oder soziale Ungerechtigkeit. So wäre beispielsweise lokales Biogemüse nun verhältnismässig günstiger zu haben, während Fleisch aus Massentierhaltung kein Billigprodukt mehr ist, sondern ein Preisschild hat, das die wahren Kosten der Herstellung reflektiert.

 

Im Kollektiv zum Ziel

Zusammengefasst: It’s about the consumer, stupid! Nämlich als Nadelöhr auf dem Weg in ein wünschenswertes Ernährungssystem. Aber eben nicht nur. Die Transformation braucht eine gemeinsame Anstrengung aller Akteure. Die Konsumenten können zwar den Wandel vorantreiben, indem sie bewusste Kaufentscheidungen treffen. Aber wenn Landwirtschaft, Industrie, Handel und Politik uns nicht dabei unterstützen und zu diesem besseren Verhalten verführen – oder den notwendigen strukturellen Veränderungen vielleicht sogar noch Steine in den Weg legen –, dann werden wir noch lange so weitermachen wie bisher.

Wege aus dem Ernährungsdilemma

Wie wir uns ernähren, hat einen direkten Einfluss auf unsere Umwelt. Doch unser heutiges Ernährungssystem stösst an seine Grenzen: 800 Millionen hungernde, gleichzeitig zwei Milliarden übergewichtige Menschen, ein massiver Verlust an Biodiversität und fruchtbarem Ackerboden, ein enormer Süsswasserverbrauch sowie extrem hohe Treibhausgasemissionen aufgrund der Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln. Es gilt also, die Weichen neu zu stellen.

Die International Food Innovation Conference des Gottlieb Duttweiler Institute, die am 21. Juni am GDI in Rüschlikon stattfindet, widmet sich der Frage, wie das Ernährungssystem entlang seiner gesamten Wertschöpfungskette nachhaltig reformiert werden kann. Vertreterinnen von Startups und Branchengrössen diskutieren mit Wissenschaftern und Vordenkerinnen über Fragen wie: Können Anbieterinnen mit besseren Nahrungsmitteln zu tieferen Preisen überleben? Wird gesunde Ernährung zum Luxus der Zukunft?

Mit dem Promo-Code GDIHZIFIC23 erhalten «Handelszeitung»-Abonnentinnen und -Abonnenten einen Rabatt von 25 Prozent auf Tickets für die Tagung. Weitere Informationen gibt es hier.