Zumindest kann er nicht behaupten, dass sein Homeoffice eintönig sei: Dropbox-Chef Drew Houston arbeitet von verschiedenen Orten. Wir erreichen ihn in seinem Zuhause auf Big Island in Hawaii. Auch wenn er seine Firma zum «Virtual first»-Unternehmen umbaut, hat Houston in der Corona-Pandemie eine Erkenntnis gewonnen: Ohne das Zusammensein geht es auf Dauer nicht gut.

Mr. Houston, von wo aus arbeiten Sie in diesen Tagen?
Drew Houston: San Francisco in Kalifornien, Austin in Texas und Neuengland im Nordosten der USA. Derzeit bin ich auf Big Island in Hawaii. Ich wechsle also von einem Homeoffice ins andere.

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Was mögen Sie am meisten am Homeoffice? Und was hassen Sie?
Ich mag die Flexibilität, nicht täglich zur Arbeit pendeln zu müssen. Auf diese Weise konnte ich diesen Sommer bei meiner Familie sein und die Hochzeit meines Bruders feiern. Allerdings muss ich mir manchmal die Frage stellen, ob ich noch von zu Hause arbeite oder schon in der Arbeit wohne. Wir müssen alle lernen, die Grenzen zu ziehen.

Glauben Sie, dass ein Videochat, wie wir ihn jetzt haben, ein guter Ersatz für ein richtiges Treffen ist?
Nein. So etwas lässt sich niemals ersetzen. Aber ich denke, dass es für 80 oder 90 Prozent der Meetings gut funktioniert. Das geht besser, als ich erwartet hätte. Natürlich kann man per Video niemanden wirklich kennenlernen. Aber für ein typisches Geschäftstreffen funktioniert das ganz gut. Wir sind in der Corona-Pandemie alle zusammen in einen unausgegorenen öffentlichen Beta-Test für verteiltes Arbeiten geworfen worden. Mit allen Schwierigkeiten. Zehn Stunden in Videokonferenzen zu sitzen, ist sehr ermüdend.

Drew Houston und die «Dropbox»-Legende

Die zündende Idee kam Drew Houston 2006 auf einer Busfahrt von Boston nach New York. Der heue 37-Jährige hatte seinen USB-Stick vergessen und konnte die Zeit nun nicht zum Arbeiten am Laptop nutzen. Stattdessen entwarf er die Vision eines Cloud-Dienstes, der Zugriff auf Daten von überall her ermöglichen sollte. Aus der Idee wurde das Start-up «Dropbox», welches der angehende Software-Ingenieur zusammen mit Studienkollege Arash Ferdowsi 2007 gründete. Das Unternehmen, dessen CEO Houston ist, ist gegenwärtig um die 10 Milliarden Dollar wert.

Dropbox nennt sich neuerdings ein «Virtual first»-Unternehmen. Was bedeutet das?
Nicht viele Unternehmen haben sich Gedanken dazu gemacht, wie ihr Leben nach der Pandemie aussehen soll. Einige Unternehmen werden ihre Mitarbeiter zurück ins Büro holen. Einige werden komplett aus dem Homeoffice arbeiten. Aber es gibt ein grosses Mittelfeld, das sich fragt, wie sich das zwischenmenschliche Miteinander mit dem Arbeiten aus der Ferne verbinden und ausbalancieren lässt. Für die meisten wird es keinen Weg zurück zum Status quo vor Corona geben. Deswegen bauen wir unsere Büros zu Orten um, wo man zusammenkommen kann, aber nicht, um dort individuell zu arbeiten. Es sollen wirklich nur Orte zum Treffen sein. Wir nennen sie Dropbox-Studios.

Was spricht gegen ein Hybrid-Modell, bei dem Mitarbeiter mal zu Hause und mal im Büro arbeiten?
Ein solches Modell hat seine Herausforderungen. Natürlich haben wir am Anfang auch daran gedacht, denn wir alle vermissen das Miteinander. Aber wie würde das aussehen, wenn Mitarbeiter 60 Prozent oder mehr von zu Hause arbeiten und den Rest der Woche ins Büro gehen? Dann wäre das Büro nicht einmal zur Hälfte besetzt. Sie würden in einem Geisterbüro arbeiten. Abgesehen davon, dass dies keine effiziente Raumnutzung wäre. Ausserdem müsste man dafür sorgen, dass Mitarbeiter im Homeoffice die gleichen Chancen haben wie Mitarbeiter im Büro.

Was bedeutet es denn für die Unternehmenskultur, wenn alle nur noch im Homeoffice arbeiten?
Wenn man das persönliche Miteinander komplett einstellt, ist es schwierig, überhaupt eine Unternehmenskultur zu haben. Stellen Sie sich einmal vor, wie es für neue Mitarbeiter wäre, die dann ihre Kollegen nur als kleine Fenster auf dem Bildschirm kennen. Deswegen muss es die Orte geben, wo Mitarbeiter zusammenkommen können.

Was passiert mit Menschen, die dort arbeiten, wo sie auch wohnen?
Das ist eine der wichtigsten Fragen, die wir beantworten müssen. Für das Wohlbefinden ist es nicht gut, überhaupt nicht mit Kollegen zusammenzukommen, so wie es derzeit in vielen Unternehmen der Fall ist. Natürlich muss es im Homeoffice Grenzen geben, damit die Balance zwischen Arbeit und Leben funktioniert. Unternehmen haben nichts davon, wenn ihre Angestellten in den Burn-out laufen. Im Prinzip ist das eine neue Abmachung. Mit mehr Flexibilität bekommt jeder Mitarbeiter auch mehr Verantwortung, seine Zeit gut zu nutzen und einzuteilen.

Leidet die Produktivität im Homeoffice?
Wir haben festgestellt, dass die Produktivität sehr hoch geblieben ist, auch wenn das nicht ganz einfach zu messen ist. Zumindest können wir feststellen, dass sie nicht eingebrochen ist. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Dimensionen. Die Produktivität vor dem Computer-Bildschirm unterscheidet sich von der Produktivität, die sich einstellt, wenn mehrere Mitarbeiter zusammenkommen. Diese ist in einer virtuellen Arbeitswelt nur schwer zu erreichen. Genau aus diesem Grund brauchen wir die Dropbox-Studios.

«Selbst der Videokonferenz-Dienst Zoom hat nicht erwartet, dass er einmal Hochzeiten oder Kongressanhörungen übertragen wird.»

Viele Menschen haben inzwischen die Videokonferenzen satt.
Ich auch. Wir erleben ja gerade die grösste Veränderung im Leben der Wissensarbeit seit 1959, als der Begriff entstanden ist. Wie immer bei solchen grossen Veränderungen gibt es grosse Chancen und grosse Herausforderungen. Die Werkzeuge, die wir benutzen, sind dafür nicht entwickelt worden. Selbst der Videokonferenz-Dienst Zoom hat nicht erwartet, dass er einmal Hochzeiten oder Kongressanhörungen übertragen wird. Für uns ist das eine Chance, auch unsere Dienste daran anzupassen. Wir glauben, dass der Wechsel zum verteilten Arbeiten von seiner Bedeutung zu vergleichen ist mit dem Trend zum Cloud Computing und zu mobilen Anwendungen.

Was bedeutet all das für die Kreativität der Mitarbeiter?
Ich weiss nicht, ob jemand schon das Geheimrezept für Kreativität in Pandemie-Zeiten gefunden hat. Wenn Menschen zusammenkommen, entsteht eine ganz eigene Art von Energie und Kreativität. Deswegen richten wir die Dropbox-Studios ein. Ich wüsste nicht, wie man das mit einer Videokonferenz erreichen kann.

Verändern sich mit den Unternehmen auch die Mitarbeiter in der Pandemie?
Sie haben neue Ansprüche, nachdem sie festgestellt haben, dass es auch eine andere Art des Arbeitens gibt. Unternehmen, die sich darauf einstellen, können davon profitieren und die besseren Talente an sich binden. Das ist gerade in der Tech-Industrie wichtig. Es gibt in den USA nur wenige Städte, die es geschafft haben, sich zu Technologie-Hubs zu wandeln. Nun eröffnen sich neue Möglichkeiten sowohl für Mitarbeiter als auch für Unternehmen, die nun eine grössere Auswahl haben. Orte ausserhalb dieser Hubs profitieren davon ebenfalls.

Hat das auch Auswirkungen auf die Zusammenstellung der Mitarbeiter?
Durch den Zugriff auf eine grössere Auswahl von Talenten wird die Belegschaft natürlich diverser, was wiederum Auswirkungen auf die Produkte hat, die entwickelt werden. Ich sehe das als grossen Vorteil.

Dropbox hat vor drei Jahren in San Francisco den grössten Mietvertrag der Stadt abgeschlossen. Was passiert mit den Büros?
Wir arbeiten noch daran. Wir werden künftig weniger Platz brauchen, das wissen wir heute schon.

Was bedeuten die Veränderungen hin zum Homeoffice für eine Stadt wie San Francisco, wo Büroraum teuer und die Lebenshaltungskosten sehr hoch sind?
Die hohen Kosten haben zu vielen Problemen geführt. Was wir gerade erleben, wird das Leben und die Kosten dort wieder etwas normalisieren. Das wäre eine gesunde Entwicklung. Die Stärke der Stadt bleibt aber mit der Konzentration von Talenten und grossartigen Unternehmen bestehen. Ich weiss aber auch, dass sich viele andere Bürgermeister gerade die Frage stellen, wie sie ihre Stadt zu einem Tech-Hub machen können.

Sie sitzen auch im Verwaltungsrat von Facebook und sprechen mit anderen CEOs. Wie richtet man sich dort auf die neue Arbeitswelt ein?
Sie stellen sich die gleichen Fragen. Wie schaffen wir es, die Kreativität und Unternehmenskultur beizubehalten? Was können wir von anderen Unternehmen lernen, die bereits virtuell arbeiten? Wie geht es nach dem Lockdown weiter?

Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat angekündigt, das Gehalt seiner Mitarbeiter nach unten anzupassen, wenn sie künftig von Orten arbeiten, die niedrigere Lebenshaltungskosten haben. Ist das eine gute Idee?
Als Mitglied des Verwaltungsrates kann ich mich zu Facebook nicht äussern. Aber viele Unternehmen machen sich solche Gedanken. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Bezahlung geografisch wegen unterschiedlicher Lebenshaltungskosten variiert.

Dieser Artikel erschien zuerst im Bezahlangebot der «Welt» unter dem Titel «Warum diese Firma das klassische Büro abschafft».