Die Finanzkrise von 2008 scheint schon lange vergessen und auch der Frankenschock 2015 ist überwunden. Dennoch erhöhten die Schweizer Unternehmen die Löhne kaum. Arbeitnehmende in einigen Branchen mussten gar Nullrunden oder längere Arbeitszeiten in Kauf nehmen.

Doch der wirtschaftliche Aufschwung müsse allen Arbeitnehmenden zugute kommen. Mit dieser Begründung  fordern die Gewerkschaften Travail Suisse, Syna, Transfair und Hotel & Gastro für 2019 generelle Lohnerhöhungen von 2 Prozent. Dafür sprechen mehrere Gründe:

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Gute Konjunktur

Tatsächlich läuft es in der Schweizer Wirtschaft so gut wie lange nicht mehr – dem tut auch die potenzielle Gefahr eines globalen Handelsstreits keinen Abbruch. Das bestätigt auch die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich: Sie prognostizierte zuletzt eine überdurchschnittliche Wirtschaftsentwicklung für die kommenden Monate. Und laut der jüngsten KOF-Konjunkturumfrage sind auch die Unternehmen weiterhin zuversichtlich.

Gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) könnte die Schweizer Wirtschaft dieses Jahr um 2,4 Prozent wachsen – so stark wie seit vier Jahren nicht mehr. Für 2019 wird ein Wachstum von 2 Prozent erwartet. Diese positive Entwicklung schlägt sich bisher aber nicht in den Löhnen von Herrn und Frau Schweizer nieder.

Inflation frisst Lohnzuwächse

Die wirtschaftliche Erholung wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus: Die Beschäftigung ist in den vergangenen Monaten stark zu und die Arbeitslosenquote mit 2,4 Prozent im Juli so niedrig wie vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die letzte Lohnumfrage der UBS ergab zwar, dass die Löhne aufgrund der guten Arbeitsmarktlage in diesem Jahr zwar um 0,7 Prozent ansteigen dürften, doch den Arbeitnehmenden dürfte real jedoch kaum etwas davon übrig bleiben. Infolge der steigenden Inflation könnte damit die Kaufkraft stagnieren. Sowohl das Seco als auch etwa das Wirtschaftsinstitut BAK Economics erwarten für 2018 eine Inflation von einem Prozent. Reale Löhne und Kaufkraft würden daher weiter abnehmen.

Bereits vergangenes Jahr mussten die Schweizer Arbeitnehmenden erstmals seit 2008 wegen der Teuerung leichte Lohneinbussen hinnehmen. Laut Bundesamtes für Statistik (BfS) stiegen die Löhne 2017 zwar nominal um 0,4 Prozent. Doch aufgrund der durchschnittlichen Inflationsrate von einem halben Prozent verdienten die meisten Angestellten real im Durchschnitt 0,1 bis 0,8 Prozent weniger als im Vorjahr.

Dass die Löhne seit der Finanzkrise kaum mehr steigen, zeigt auch die neuste Studie von von Kienbaum und der «Handelszeitung»: Die grossen Lohnsteigerungen, die vor allem vor 2009 möglich waren, haben sich seit vielen Jahren auf niedrigem Niveau eingependelt. Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass grosse Sprünge bei den Löhnen von Spezialisten, Sachbearbeitern und Fachkräften offenbar nicht mehr drin seien. Bei Spezialisten stiegen die Löhne 2017 zwischen 0,6 und 1,1 Prozent, bei Sachbearbeitern und Fachkräften zwischen 0,8 und 1,1 Prozent.

Privater Konsum als Konjunkturstütze

Die Gewerkschaft Travailsuisse fordert daher, Arbeitnehmende mit spürbaren Lohnerhöhungen am Aufschwung zu beteiligen. Dem Dachverband von Arbeitnehmerorganisationen geht es vor allem auch darum, den privaten Konsum als Konjunkturstütze zu erhalten. Wenn die Schweizerinnen und Schweizer mehr Lohn in der Tasche haben, können sie auch mehr konsumieren und so die Binnenwirtschaft ankurbeln.

Gemäss Arbeitnehmervertretungen hätten die Arbeitnehmenden zudem dazu beigetragen, dass die Finanz- und Weltwirtschaftskrise in der Schweiz kaum spürbare Folgen hinterlassen habe. Die Gewerkschaft Syna fordert für bestimmte Branchen und Unternehmen sogar 2 bis 3 Prozent mehr Lohn. Nullrunden, Einmal-Zahlungen oder nur individuelle Lohnanpassungen wolle die Syna in diesem Jahr in der Industrie nicht sehen, sagte Präsident Arno Kerst.

Schlusslicht in Europa

Von einer Nullrunde bei den Schweizer Löhnen geht auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus. Während in den meisten anderen europäischen Ländern die Reallöhne 2018 teilweise stark ansteigen, sollen sie laut OECD hierzulande stagnieren. Noch schlimmer als die Schweizer trifft es Arbeitnehmende in Grossbritannien, Spanien und Italien, denn dort sinkt das Lohnniveau sogar. Die Briten trifft es dabei mit minus 0,7 Prozent am stärksten.

Für Schweizer Arbeitnehmende dürfte das kein Trost sein, wenn sie weniger im Portemonnaie haben. Doch wenn wirtschaftsschwächere Länder wie einige osteuropäische Staaten ihre Arbeitnehmenden am Wirtschaftswachstum teilhaben lassen, könnten sich Schweizer Unternehmen daran ein Beispiel nehmen.