Seitdem der kurze, durch die Lockdowns im März 2020 ausgelöste Marktrückgang vorbei war, haben sich die Fachleute an jeder Kurve geirrt. Eine grosse Rally, während sich Covid-19 immer weiter ausbreitete und Lockdowns weltweit anhielten? «Der Markt irrt sich», beharrten viele. Dann klagten sie, die frühe Führung der Wachstumsaktien sei «falsch», ein Fehler, der durch die beginnenden Impfungen sicher «behoben» würde.    

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Als Nächstes lagen die weltweiten Aktien «falsch», weil sie über die umstrittenen Wahlen und den Angriff auf das Kapitol hinwegsahen. «Falsch», weil sie während der Lockdowns im letzten Winter und der Zunahme der Delta-Variante stiegen. Nun «irren» sich die Aktien, weil sie während der «Straffungen» durch die weltweiten Zentralbanken und die erhöhte Inflation nicht abstürzen. Vermeintlich umso mehr, weil sie trotz den Lieferkettenproblemen, den massiv ansteigenden Omikron-Fällen und den schweizerischen Plänen zur Mindestbesteuerung immer noch relativ stabil sind.    

Ja, Volatilität kommt und geht. Kurze, drastische Korrekturen von 5 bis 15 Prozent aufgrund von kleinen, aber schauerlichen Geschichten sind an den Aktienmärkten gewöhnlich. Wie die Investmentlegende Ben Graham sagte, sind Aktien kurzfristig eine Wahlmaschine. Aber über längere Zeiträume gewichten sie die Fundamentaldaten effizient und rational. Genau das haben die Aktien in den letzten zwei Jahren getan und eine Realität eingepreist, die sich nur wenige vorstellen konnten.    

Über den Autor

Ken Fisher ist Gründer und Executive Chairman von Fisher Investments, einer Vermögensverwaltungsfirma mit Niederlassungen in sechs Ländern, die rund 188 Milliarden Dollar verwaltet. Fisher zählt zu den einflussreichsten (und auch reichsten) Investment-Managern der USA.

Verlagern Sie also Ihren Fokus. Unterstellen Sie, der Markt habe recht und sei effizient, nicht, dass er irrational sei und falsch liege. Vielleicht werden Sie dann als töricht oder leichtsinnig bezeichnet. Macht nichts. Die Vergangenheit beweist, dass sich so die Realität am besten erkennen lässt. Kehren Sie dazu einfach die jüngsten Ereignisse einmal um.

Wachstum nach dem Lockdown

Die Aktienrally Ende März 2020? Diesen Anstieg gab es zu Recht, weil die Ursache des Abschwungs – die globalen Lockdowns – fast sofort ersichtlich war. Dadurch konnten die Märkte den Schaden historisch schnell einpreisen. Auch der Ausgang war klar: eine Wiederöffnung. Selbst ohne einen genauen Zeitplan der Regierungen erkannten die Aktien völlig richtig, dass es bald zu einer erneuten Öffnung kommen würde.    

Die frühe Führung der Wachstumsaktien? War ebenso richtig! Das Einfrieren der globalen Wirtschaftsaktivitäten durch die Lockdowns setzte den 2009 begonnenen Konjunkturzyklus nicht zurück. Er wurde nur angehalten. Mit der Aufhebung der Lockdowns kam der Zyklus weitgehend wieder in Schwung. Die Wachstumsaktien setzten dann ihre Führung fort, was für eine reife Wachstumsphase typisch ist. Darüber hinaus absorbierten die hohen Bruttomargen der Wachstumsaktien den Schock und federten den Abschwung ab.

Das Wachstum konzentrierte sich auf die Lockdown-Gewinner wie E-Commerce und Homeoffice. Bei den wirtschaftlich sensiblen Substanzwerten erwiesen sich die geringeren Bargeldpolster und die Abhängigkeit von Schulden als Gegenwind, den die Aktien deutlich erkannten. Der Value-lastige SPI stotterte daher über diese Strecke, während sich die weltweiten Aktien über einen wachstumsgetriebenen Anstieg aus dem Tief freuten.    

Und was machten die Aktien seitdem? Sie verhielten sich rational und hatten recht! Der Schwung der Value-Aktien vom Jahresende 2020 liess nach. Die Märkte wussten, dass positive Impfnachrichten die langfristigen Vorteile von Wachstumsaktien nicht übertrumpfen würden. Auch der Blick über die amerikanischen Wahlen hinaus war richtig, da diese einen ausgeprägten Stillstand mit sich brachten. Der Anstieg des SPI während der Restriktionen Ende 2020 und der Impfverzögerungen Anfang 2021 ergab ebenfalls Sinn – die Aktien wussten, dass es sich um kurze Stolperer und nicht um grundlegende Entwicklungen handelte.    

Mit Corona leben

Und Omikron? Die Daten zeigen, dass die Ausbreitung von Delta im Sommer die kühl-rationalen Aktien nicht stoppen konnte. Somit würde auch der winterliche Anstieg von Omikron in der Schweiz und andernorts die Aktien nicht unterkriegen.

Dass die Aktien richtigerweise aufgrund der Delta-Variante nicht einbrachen, dürfte beweisen, dass der Rückgang Anfang 2020 durch die Lockdowns getrieben war. Den vereinzelten Restriktionen in den unterschiedlichen Ländern fehlt nun das Überraschungsmoment der ersten Lockdowns, während die relativ lockeren Regeln in der Schweiz ein Beispiel dafür sind, wie die Welt lernt, mit Corona zu leben.    

Die Lieferkettenkrise? Die Gewinne des Stoxx 600 und S&P 500 in Q3 zerschlugen die Erwartungen und bewiesen, dass die Aktien mit ihrem Wachstum absolut richtig lagen. Die Bruttomargen erwiesen sich als resilient, wobei die Technologieaktien und technologienahen Kommunikationsdienstleistungen die Erholung weltweit anführten. Die grösseren Wachstumsunternehmen kamen grundsätzlich besser mit den Lieferkettenherausforderungen klar, was die Aktien vorhergesagt hatten.    

Die Inflation? Ausserhalb der Schweiz ist sie hoch. Der Verbraucherpreisindex der Euro-Zone erreichte im Dezember mit seinem Anstieg gegenüber dem Vorjahr die 5,0-Prozent-Marke. Auch wenn die Verbraucher es nicht mögen, die Preismacht der Unternehmen erhält bei steigenden Preisen die Margen aufrecht, sodass Aktien zu einer vernünftigen Absicherung gegen Inflation werden. Die Preisschwankungen in der Euro-Zone sind grösstenteils auf die volatilen Energiepreise zurückzuführen – die Kerninflation liegt bei 2,6 Prozent. Selbst die niedrige Inflationsrate von 1,5 Prozent in der Schweiz im November wird durch den Anstieg der Energiepreise um 17,8 Prozent nach oben verzerrt. Aus diesem Grund bleiben die Anleiherenditen selbst nach den jüngsten Aufwärtsbewegungen schwach.  

Genau zuhören

Die «Straffung» der Zentralbanken? Viele sagten, dass die Aktien «falsch» damit lagen, gleichgültig über die Reduzierung der Anlagekäufe durch die EZB und die US-Notenbank Ende 2021 hinwegzugehen. Die Schwankungen Anfang Januar seien daher rational. Doch die Märkte haben diese Reduzierung der Anleihekäufe bereits gewichtet – und das Gerede um steigende Zinsen. Schon bald dürften die Märkte zur Gewichtung der Fundamentaldaten zurückkehren. Die jüngsten Rendite- und Aktienschwankungen dürften sich als kurze Geräusche erweisen.

Und die Mindeststeuer? Wie ich Ihnen im April sagte, zeigen die Daten, dass Steuererhöhungen das Überraschungsmoment fehlt, um Aktien zu erschüttern. Die effizienten Märkte wissen das ebenfalls. Vertrauen Sie ihnen.    

Aktien bewerten das alles laufend und kalkulieren die vermutlichen Ergebnisse mit ein. Diese Kurse sind das allerbeste Signal, das es gibt. Schauen Sie nicht darüber hinweg. Danken Sie stattdessen den Märkten für ihre Arbeit – und hören Sie ihnen 2022 genau zu.     

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