Gleichstellung zwischen Mann und Frau im Unternehmen zu wünschen, sie zu fordern, zu behaupten oder umzusetzen, das sind manchmal verschiedene Dinge.

Ein Zwiespalt, der Mitarbeitende in Unternehmen durchaus frustrieren kann. Sie haben ein sehr genaues Sensorium dafür, ob Diversity-Ziele in einem Unternehmen nur auf dem Papier stehen oder ob sie in konkreten Managemententscheiden und Unternehmensstrukturen auch umgesetzt werden.

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Umso wichtiger, dass Gleichstellungsziele faktenbasiert und zahlenbasiert vorangetrieben werden und nicht nur als Sprechblase auf einer Managementtagung figurieren.

Wie aber funktioniert so ein faktenbasiertes Monitoring konkret? Seit 2013 ist es möglich, die Fortschritte im Bereich Gleichstellung durch die internationale Zertifizierungsfirma EDGE analysieren, bewerten und auszeichnen zu lassen.

Der englische Name EDGE steht für die Abkürzung von Economic Dividends for Gender Equality, also für den wirtschaftlichen Erfolg durch die Gleichstellung der Geschlechter. EDGE ist eine Stiftung in Zug.

Mehrere Levels

Als die Idee dazu 2009 aufkam, war das Thema Gleichstellung weniger präsent als heute. «Es war nötig, EDGE zu gründen, um Gleichstellungskriterien objektiv zu messen, zu standardisieren und durch Dritte zu prüfen», sagt Simona Scarpaleggia, ehemalige CEO von Ikea Schweiz und heute Board Member von EDGE.

So sei es auch gelungen, Gleichstellung von einem «weichen» zu einem «geschäftskritischen» Thema zu erheben. Es ging darum, Gleichstellungskriterien aufzustellen, die für Unternehmen weltweit anwendbar waren. Scarpelaggia hat das Thema schon in ihrer Zeit bei Ikea systematisch vorangetrieben: Dort übertraf sie ihre eigenen Vorgaben.

«EDGE unterstützt Organisationen bei der Messung, Beschleunigung und Zertifizierung von Gerechtigkeit in Unternehmen»

Simona Scarpaleggia, Board Member von EDGE

Bei Ikea Schweiz – 1 Milliarde Franken Umsatz, 3000 Mitarbeitende an neun Standorten – ist das Geschlechterverhältnis fifty-fifty, auch auf Managementstufe. Scarpaleggias zweites grosses Anliegen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, wurde ebenfalls umgesetzt.

Und: Ein 50-Prozent-Frauenanteil und Lohngleichheit gelten Ikea-intern inzwischen als Benchmark. «Der Rest der Ikea-Gruppe will dieses Ziel bis 2020 erreichen», sagte Scarpaleggia in einem Gespräch als Ikea-Cefin. Auch in Italien hat sie Frauenförderungsprogramme vorangetrieben. Nun hat sie dieses Engagement bei EDGE weiter vertieft – und will möglichst viele Unternehmen davon überzeugen, dass sich der Einsatz für Diversität lohnt.

«EDGE unterstützt Organisationen bei der Messung, Beschleunigung und Zertifizierung von Gerechtigkeit in Unternehmen», erklärt Simona Scarpaleggia. Dabei geht es nicht nur um die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, sondern auch aufgrund von anderen Kriterien. Der Prozess zur Zertifizierung der Chancengleichheit durchläuft mehrere Levels. 

Auf die erste Stufe «Assess», die Verpflichtungserklärung, folgt «Move», die Umsetzung erster Veränderungsschritte, bis hin zu «Lead», wo die Chancengleichheit erreicht ist. Bei EDGE geht es um relevante Aspekte wie Löhne, Beförderungen, Rekrutierung, Teilzeitarbeit und Kultur der Organisation.

«Pseudo-Fortschritte können verhindert werden, weil Messen die Basis von allem ist»

Simona Scarpaleggia, Board Member von EDGE

Es werden auch die Mitarbeitenden dazu befragt. Zunächst erhalten die Unternehmen Zugang zu einer Plattform, auf der sie ihre Daten eingeben. Die Unternehmensdaten und Kennzahlen aus dem Bereich Human Resources werden ausgearbeitet und analysiert.

«Die Unternehmen bekommen eine gründliche Analyse des Status quo und der identifizierten Lücken sowie einen Aktionsplan zur Schliessung dieser Lücken», sagt Scarpaleggia.

Nach einem Audit, das eine unabhängige Zertifizierungsstelle durchführt, erhalten die Unternehmen schliesslich die EDGE-Zertifizierung, mit der die Organisationen Transparenz, Objektivität und Glaubwürdigkeit auf ihrem Weg zur Gerechtigkeit am Arbeitsplatz zeigen können.

Löhne im Fokus

Doch wie geht das, wie ist die Gleichstellung einer Organisation zu messen? Simona Scarpaleggia: «Wir berücksichtigen feste Parameter und Daten wie die Vertretung von Männern und Frauen auf den verschiedenen Ebenen der Organisation, gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit, angewandte Richtlinien und Praktiken und die Inklusion der Kultur.»

Diese Parameter würden eine ganzheitliche und solide Basis bieten, um Ziele zu setzen und den Fortschritt zu verfolgen. Alle zwei Jahre lassen sich die Unternehmen einer Rezertifizierung unterziehen.

«Pseudo-Fortschritte können verhindert werden, weil Messen die Basis von allem ist», sagt Simona Scarpaleggia. Als Beweis für den echten Fortschritt nennt sie die Zertifizierung durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer. EDGE zertifiziert Unternehmen ab 200 Mitarbeitenden.

«Im obersten und mittleren Kader sind die Frauen im Vergleich zu den ­Männern beispielsweise am stärksten ­benachteiligt.»

Zu den Organisationen, die das Zertifikat bereits erhalten haben oder bei denen das Prozedere noch läuft, gehören in der Schweiz etwa Allianz Schweiz und Zurich Schweiz. Zu den ersten Schweizer Unternehmen, die den globalen Standard erfüllten, zählen Ikea Schweiz und Deloitte Schweiz.

Auch die Unternehmen, die sich an der «EqualVoice United»-Initiative beteiligen und eine Charta unterschrieben haben, dass sie sich für mehr Diversity und Gleichstellung einsetzen, haben sich verpflichtet, das Zahlungstool von Pay Tool zu verwenden.

Wie Simona Scarpaleggia erklärt, sind sie damit in der Lage, ihre Lohngerechtigkeit zu überwachen und einzugreifen und im Laufe der Zeit die Lücken zu schliessen, die sie möglicherweise in den verschiedenen Teilen ihrer Organisation haben. Für Scarpaleggia ist dies umso wichtiger, als sich der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern gemäss Bundesamt für Statistik erst langsam verringert.

Lohngefälle zwischen Mann und Frau sinkt nur leicht

Unterschiede

Frauen haben im Jahr 2020 in der Schweiz im Durchschnitt 10,8 Prozent weniger verdient als Männer. Das Lohngefälle hat sich damit innert zweier Jahre nur leicht verringert, und zwar um 0,7 Prozentpunkte. Die Unterschiede liessen sich «teilweise» durch das unterschiedliche Verantwortungsniveau am Arbeitsplatz oder den Wirtschaftszweig erklären, erklärt das Bundesamtes für Statistik (BFS) in seiner Lohnstrukturerhebung, die regelmässig erscheint: je höher die Hierarchiestufe, desto grösser der Lohnunterschied.

Differenzen

So hätten zum Beispiel Frauen mit hohem Verantwortungsniveau im Jahr 2020 9249 Franken brutto pro Monat verdient. Männer auf der gleichen Stufe verdienten dagegen 11 116 Franken pro Monat. Das entspricht einer Differenz von 16,8 Prozent.

Hierarchie-Ebene

Bei Arbeitsstellen mit tieferem Verantwortungsniveau sei das Lohngefälle zuungunsten der Frauen weniger gross ausgefallen: Sie verdienten 9,3 Prozent weniger als die Männer. Frauen ohne Kaderfunktion erhielten im Durchschnitt 6,9 Prozent weniger Lohn. Der monatliche Bruttomedianlohn für eine Vollzeitstelle belief sich im Jahr 2020 auf 6665 Franken. Die 10 Prozent der Arbeitnehmenden mit den tiefsten Löhnen verdienten weniger als 4382 Franken pro Monat, die 10 Prozent am besten Verdienenden 11 996 Franken. Die Lohnschere, also der Unterschied zwischen den höchsten und tiefsten Löhnen, sei zwischen 2018 und 2020 relativ stabil geblieben: Die Löhne der am besten bezahlten Arbeitnehmenden sei in diesem Zeitraum um 11,8 Prozent gestiegen, diejenigen der am schlechtesten bezahlten um 11,6 Prozent.

Globaler Vergleich

In allen OECD-Ländern verdienen Frauen weniger als Männer. Der Unterschied ist teilweise eklatant: Er liegt in der Spannbreite zwischen 4 und 30 Prozent. OECD-weit sind es im Schnitt knapp 13 Prozent, die Frauen weniger Lohn bekommen als Männer für gleichwertige Vollzeitarbeit.

Wichtig auch deshalb, weil in manchen Firmen immer noch die systematische Datenerhebung unter Diversity-Gesichtspunkten in den Anfängen steckt. Und in solchen Daten wäre dann erkennbar, dass beispielsweise Lohnungleichheit sich bis ins obere Kader fortsetzt, ein Fokus, der auch schon mal vergessen wird.  Im obersten und mittleren Kader sind die Frauen im Vergleich zu den Männern beispielsweise am stärksten benachteiligt.

«Tatsächlich vergrössert sich die durchschnittliche Lohndifferenz auch mit zunehmendem Alter.»

Während die Männer vom mittleren zum obersten Kader eine Lohnerhöhung bekommen, sinkt bei den Frauen das Einkommen vom mittleren zum oberen Kader. Die durchschnittliche Lohndifferenz steigt von 10 Prozent zwischen Frauen und Männern ohne Kaderfunktion auf 25,4 Prozent im obersten Kader, so das Bundesamt für Statistik.

Für Frauen, die in mittleren Karrierestufen ohnehin oft aus dem Beruf aussteigen, ist das eine fatale Entwicklung, die sich auch in grossen Vorsorgelücken widerspiegelt. Tatsächlich vergrössert sich die durchschnittliche Lohndifferenz auch mit zunehmendem Alter. Während bei den Männern das Einkommen nach Alter steigt, ist dieser Zusammenhang bei den Frauen weniger erkennbar, so die Statistiken des Bundes.

Obwohl der Durchschnittslohn zwischen den ersten beiden Alterskategorien steigt, verdienen Frauen ab fünfzig Jahren nicht mehr als jene der mittleren Altersgruppe. Gegen solche Entwicklungen anzukämpfen und blinde Flecken erst einmal zu erkennen, helfen die Analysen, zu denen EDGE die Firmen ermuntert und bei denen sie diese begleitet.

Wichtige Werkzeuge

Die wichtigsten Ziele von EDGE sind daher für Simona Scarpaleggia: «Eine gerechtere und wohlhabendere Gesellschaft.» Diese werden ihrer Ansicht nach aber nur mit einem fairen und gerechten Einbezug von Frauen am Arbeitsplatz möglich sein.

Es gebe in unserer Gesellschaft zahlreiche kulturelle, organisatorische und wirtschaftliche Herausforderungen: «Aber es gibt auch Werkzeuge, um sie zu bewältigen.»