Das neue Jahr begann mit einem Paukenschlag: Mit dem grössten Zukauf seit über zehn Jahren steigt der Zementriese Lafarge Holcim in das Geschäft mit Dächern ein. Der Schweizer Konzern übernimmt für 3,4 Milliarden Dollar Firestone Building Products.

Auch Sulzer wurde bereits im Januar aktiv. Der Industriekonzern baut das Wassergeschäft weiter aus und expandiert zu diesem Zweck in Schweden: Für 128 Millionen Franken wurde das Göteborger Unternehmen Nordic Water übernommen.

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Ist das der Auftakt zu einem aussergewöhnlichen Jahr für Unternehmensübernahmen?

Ein Nachholbedarf besteht durchaus; die Pandemie hat 2020 im Markt für Mergers & Acquisitions (M&A) Spuren hinterlassen. Das M&A-Beratungsunternehmen The Corporate Finance Group (TCFG) hat alle Schweizer Transaktionen des vergangenen Jahres unter die Lupe genommen und interessante Erkenntnisse gewonnen.

«Unsicherheit ist Gift für den Übernahmemarkt»

So betrug das Transaktionsvolumen hier insgesamt lediglich 38,5 Milliarden Franken und sank damit im Vergleich zu 2019 um 45 Prozent oder 32 Milliarden Franken. Während das erste Quartal noch 21 Prozent über 2019 lag, brach das Geschäft im zweiten Quartal fast völlig ein. Und trotz einer Normalisierung nach dem Sommer blieb auch das zweite Halbjahr 2020 rund 34 Prozent unter Vorjahr.

«Vertrauen, Sicherheit und Planbarkeit unter den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind unverzichtbar, wenn man eine Firma kaufen oder verkaufen will», erläutert Marc Möckli, Partner bei TCFG: «Die Unsicherheit im Frühling war Gift für den Übernahmemarkt, viele Transaktionen sind abgebrochen oder sistiert worden.»

Immerhin blieb die Anzahl der Transaktionen knapp auf Vorjahresniveau. «Das war eine positive Überraschung. Bei kleinen und mittleren Transaktionen sind die Schwankungen über die Jahre generell geringer – die Zurückhaltung war insbesondere bei den grossen Unternehmen wie beispielsweise Novartis, Roche oder Nestlé sichtbar. Dort fehlten die ganz grossen Deals», so Möckli.

Grösste Deals in der Finanzbranche

Ein M&A-Wachstum gab es in der Schweiz im vergangenen Jahr nur für zwei Branchen – bei Finanzdienstleistungen und im Bereich IT, Medien und Telecom. Aus dieser Branche stammte auch der grösste Deal des Jahres: Für rund 6,5 Milliarden Franken übernahm UPC-Eigentümerin Liberty Global das Telekomunternehmen Sunrise.

Aber auch ohne diesen Mega-Deal wäre der Bereich IT deutlich gewachsen. «Die zunehmende Digitalisierung befeuert die Nachfrage nach IT-Kompetenz», so Möckli. Insbesondere im Finanzsektor ist viel in Bewegung geraten. «Im Vergleich zu anderen Branchen hat die Finanzwirtschaft grossen Nachholbedarf in der Digitalisierung, das hat sich 2020 trotz Pandemie in einem stärkeren M&A-Geschäft niedergeschlagen», sagt Möckli.

Und noch eine Erkenntnis bestätigte sich auch in der Krise: Von dem häufig kolportierten Ausverkauf Schweizer Unternehmen ins Ausland konnte auch 2020 nicht die Rede sein.

Bei rund 42 Prozent aller Übernahmen erwarben Schweizer Unternehmen eine Firma im Ausland, nur in 33 Prozent der Übernahmen wurde ein Schweizer Unternehmen von einer ausländischen Firma übernommen. 24 Prozent der Deals spielten sich zwischen Schweizer Unternehmen ab.

Während sich die grossen Schweizer Firmen mit Übernahmen weitgehend zurückhielten, gab es weltweit im zweiten Halbjahr eine deutliche Erholung und ein starkes Finish.

Endspurt im 2020

Drei der grössten M&A-Deals des Jahres wurden in den letzten dreissig Tagen des Jahres geschlossen: S&P Global erwarb für 39 Milliarden Dollar IHS Markit, im Technologiesektor schluckte Chip-Produzent Advanced Micro Devices für 35 Milliarden Dollar Xilinx – und Salesforce übernahm für 27,7 Milliarden Dollar die digitale Kommunikationsplattform Slack Technologies.

Auch dank diesem gewaltigen Endspurt sank das weltweite Transaktionsvolumen 2020 im Jahresvergleich laut Berechnungen von Bloomberg lediglich um 6 Prozent auf rund 3,5 Billionen Dollar. Im ersten Halbjahr hatte der Rückgang noch 50 Prozent betragen.

«Bei vielen Deals zu Beginn der Pandemie ging es ganz einfach ums Überleben, insbesondere in den schwer getroffenen Branchen Reise, Hospitality und Unterhaltung. Im Verlauf des Sommers machte sich in den Unternehmen weltweit mehr Optimismus breit, als sie realisierten, dass sie auch unter den erschwerten Rahmenbedingungen ihren Geschäften nachgehen können: Der Fokus verschob sich auf die Frage, wie ein Unternehmen aufzustellen ist, um nach der Pandemie die beste Ausgangsposition zu haben», erläutert Stefan Meyer, Leiter Aktien Schweiz bei der UBS.

2021 bringt günstige Bedingungen

Der internationale Trend sollte sich auch im Schweizer Markt niederschlagen. «Ich erwarte, dass viele Unternehmen 2021 wieder sehr aktiv sein werden. Deren hohe Liquidität, günstige Finanzierungsmöglichkeiten und die beschleunigte Digitalisierung treiben das Übernahmegeschäft in diesem Jahr an», so Stefan Meyer. «Insbesondere die Branchen IT und Healthcare werden im Fokus stehen.»

Es wird erwartet, dass gerade die grossen Schweizer Unternehmen wie beispielsweise Nestlé, Sika, Novartis oder Roche wieder aktiver werden.

Selten waren die finanziellen Möglichkeiten für Unternehmen so günstig wie derzeit. Die Zinsen sind auf Rekordtiefe und es ist für Unternehmen leichter geworden, Geld aufzunehmen, etwa über Unternehmensanleihen. Als Resultat wurde rund um den Globus Liquidität angehäuft.

Der US-amerikanische Wirtschaftsdatenspezialist Refinitiv hat berechnet, dass private Firmen ausserhalb des Finanzsektors 2020 weltweit die Rekordsumme von 3,6 Billionen Dollar an Kapital aufgenommen haben, hauptsächlich über Unternehmensanleihen, Börsengänge oder im Sekundärmarkt.

Folgen der Krise treiben Übernahmefieber

Aber es sind nicht nur die guten finanziellen Rahmenbedingungen. Gerade die Folgen der Krise für die Wirtschaft sind Treiber für das Übernahmefieber: Viele CEO haben realisiert, dass sie schnellstmöglich strategische Lücken, etwa bei der Digitalisierung, schliessen müssen.

Andere Unternehmen haben die Anfälligkeit der Supply Chains gespürt und versuchen, diese mit Akquisitionen zu beseitigen. Unternehmen mit hoher Verschuldung, denen die Krise zugesetzt hat, werden gezwungen, sich von Assets zu trennen.

«Die Krise hat den Firmen neue Probleme beschert oder Schwachstellen aufgezeigt, die beseitigt werden müssen. Akquisitionen oder Zusammenschlüsse bieten hier häufig eine schnelle Lösung», weiss Marc Möckli.

Und für die Schweiz weist er auf eine Besonderheit hin: «Leider rechnen wir für 2021 mit Notverkäufen im Zusammenhang mit Restrukturierungen. Davon hat man im letzten Jahr noch nicht viel gesehen; die Massnahmen des Bundes mit Bundeshilfen, Krediten und Kurzarbeit haben hier noch vieles verzögert. Insbesondere Branchen, die von der Krise getroffen sind, so etwa die Gastronomie, die Touristik- oder die Eventbranche, könnten besonders gefährdet sein.»

Allerdings sollten die CEO im anstehenden Übernahmefieber gewarnt sein: In einer McKinsey-Studie wurden Übernahmen der tausend grössten Unternehmen über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg analysiert.

Danach stieg der Wert derjenigen Unternehmen am meisten, die mit vielen kleineren Übernahmen im Rahmen eines klaren strategischen Ziels vorgegangen waren. Dieser programmatische Ansatz (mehr als zwei Deals pro Jahr innerhalb der letzten fünf Jahre) war Ansätzen mit selektiven Akquisitionen oder einem organischen Wachstum deutlich überlegen.

Am schlechtesten schnitten in der Analyse die Mega-Deals ab. CEO sollten sich daher vorsehen: Big ist im M&A-Geschäft meistens nicht beautiful.

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